Wir waren am Dienstag und Mittwoch bei
Ben Howard im Eventim Apollo (ehemals Hammersmith Apollo) in London.
Zehn Jahre "I Forget Where We Were". Unter diesem Motto steht diese aktuelle Jubiläumstour. Das Album, mit dem Ben Howard nach seinem erfolgreichen Debüt "Every Kingdom" seinen musikalischen Wandel eingeleitet hat. Und bis heute eins meiner absoluten Lieblingsalben.
Man merkt, dass man langsam in ein fortgeschritteneres Alter kommt, wenn man bei solchen Jubiläumstouren schon die ursprüngliche Tour zur Veröffentlichung des Albums besucht hat. An das Konzert in der Hamburger Sporthalle Ende 2014 kann ich mich noch gut erinnern. Ich habe das Album schon damals geliebt, von daher war ich mit dem Auftritt sehr glücklich. Bei vielen anderen Anwesenden war die Enttäuschung allerdings groß, da Ben Howard neben den Songs des neuen Albums, das komplett dargeboten wurde, nur zwei ältere Songs gespielt hat. Die großen Hits seines Debüts hatte er gänzlich aus seinem Live-Programm gestrichen. Dieser Fokus auf das aktuelle Werk mit dem gleichzeitigen Verzicht auf alte Songs sollte sich über Jahre hinziehen und immer wieder Anlass für negative Konzertberichte enttäuschter Fans sein. Bis zur erst kürzlich beendeten Tour des jüngsten Albums "Is It?", bei der Ben Howard sich plötzlich wieder offen gegenüber seinem Frühwerk zeigte und sogar Songs wie "Only Love", "Old Pine" und "Keep Your Head Up" in den Setlisten auftauchten. Die Ankündigung der Jubiläumstour zum 2014 erschienenen Album "I Forget Where We Were" passt entsprechend gut zu dieser Wandlung und dem Blick zurück in die Vergangenheit. Gleichzeitig ist es fast schon ironisch, dass das damals bei vielen Fans verschmähte neue Album zehn Jahre später nun der Grund für einen kleinen Nostalgie-Hype mit vielen ausverkauften Konzerten ist. So auch diese beiden London-Shows im Eventim Apollo.
London #1
Der erste Abend. Wir waren knapp eineinhalb Stunden vor Einlassbeginn vor Ort. Ein paar Leute standen schon in der noch recht kurzen Schlange, es war aber alles sehr überschaubar. Bis zum pünktlichen Einlass um 19 Uhr war die Schlange hinter uns deutlich gewachsen und ging über den gesamten Vorplatz und zur Straße an der Hammersmith-Station. Der Einlass war gut organisiert, sodass wir kurze Zeit später schon im Saal waren und einen Platz ganz vorne an der Absperrung zur Bühne ergattern konnten. Mitte links, perfekte Sicht.
Im Eventim Apollo war ich zum ersten und bislang einzigen Mal beim ausverkauften Konzert von
Slowdive zu Beginn des Jahres. Eine schöne Halle mit einem offenen und nach hinten aufsteigenden Stehplatzbereich vor der recht niedrigen Bühne und einem Bereich mit festen Sitzplätzen im Oberrang. In dieser Form fasst die Halle gut 5.000 Personen.
Um 20 Uhr wurde der mittlerweile volle Saal dunkel und
Billie Marten kam auf die Bühne. Eine englische Singer-Songwriterin, die abwechselnd mit Akustik- und E-Gitarre eher ruhige Indie-Folksongs gespielt und dazu gesungen hat. Ich fand ihren Auftritt phasenweise ganz schön, habe aber etwas Dynamik vermisst. Dem restlichen Publikum ging es offensichtlich ähnlich, denn abseits der vorderen Reihen, die aufmerksam zugehört haben, war schon ein deutlicher Geräuschpegel im Saal zu vernehmen. Nach einer halben Stunde war Schluss und es wurde wieder hell.
Es gab eine Umbaupause. Ein großer Vorhang wurde hochgezogen, sodass der Blick auf den hinteren Bühnenteil mit dem Bühnenbild frei wurde. Ein großer Baum, dessen Krone aus einzelnen Paneelen die gesamte Rückseite der Bühne eingenommen hat. Eine schöne Kulisse.
Um 21 Uhr wurde der Saal dann wieder dunkel. Zwei Bläserinnen kamen auf die Bühne und haben die Melodie von "End of the Affair" angespielt, der damals ersten Single-Veröffentlichung von "I Forget Where We Were". Die erste Gänsehaut setzte ein. Währenddessen kamen unter großem Jubel
Ben Howard und die restliche Band auf die Bühne. Neun Personen waren es insgesamt. Es wurde also groß aufgefahren. Mit "End of the Affair" ging es dann auch direkt los. Ben Howard saß in der Mitte der Bühne auf einem Stuhl (der später wieder weichen sollte) und spielte erst alleine, dann begleitet von der kompletten Band den Song. Währenddessen setzten die Videobildschirme ein und auch die Paneele der großen Baumkrone wurden beim Finale des Songs vollständig als Videoleinwand verwendet. Ein unheimlich atmosphärisches Gesamtbild.
Mit dieser Intensität ging das Konzert dann auch weiter. Ich bin natürlich absolut nicht unvoreingenommen, aber das war sicherlich eins der besten Konzerte meines Lebens. Die Band war musikalisch großartig. Besonders gefreut habe ich mich über die Anwesenheit von
India Bourne, die bei dieser Tour wieder als Cellistin und Sängerin dabei ist. Ben Howard selbst wirkte sehr fokussiert auf die Musik und gleichzeitig gut gestimmt, hat zwischendurch ein paar lockere Ansagen gemacht und war sichtlich glücklich, in seiner Heimatstadt aufzutreten. Dazu gab es eine unheimlich stimmige Lichtshow und die Videoleinwände. Ein runder und druckvoller Sound. Und ein wirklich sehr angenehmes und aufmerksames Publikum um uns herum.
Das komplette Album "I Forget Where We Were" wurde (in anderer Reihenfolge) gespielt. Dazu gab es einige B-Seiten ("The Burren", "Quiet Me Down" und "How Are You Feeling?"), die erst kürzlich als EP veröffentlicht wurden. Und "Oats in the Water" von der "The Burgh Island EP" in einer reduzierten Version mit Gitarre und Cello. Bei "Small Things" sind mir fast die Tränen gekommen, so schön war das. "Rivers in Your Mouth" wurde mit einem verlängerten Outro gespielt. Bei "Evergreen" kam Billie Marten als Gastsängerin auf die Bühne. Und "All Is Now Harmed" hat das reguläre Set in einer Kanon-artigen Version beendet. Wow!
Nach einer kurzen Pause kamen Ben Howard und sein Keyboarder wieder auf die Bühne, um die Zugabe mit einer wunderschönen Klavierversion von "Days of Lantana" einzuleiten. Der einzige neuere Song, der an diesem Abend gespielt wurde. Anschließend gab es mit der kompletten Band noch das herzerwärmende "Conrad" und als Finale mit "I Forget Where We Were" den großartigen Titelsong des Jubiläumsalbums. Dann war das Konzert nach etwa 100 Minuten Spielzeit vorbei. Das Publikum hat der Band euphorisch gedankt. Und wir sind auf einer Glückswolke zurück zum Hotel geschwebt. Was für ein wahnsinnig toller Abend.
London #2
Der zweite Abend. Wir waren noch ein paar Minuten früher als am Vortag am Eventim Apollo. Die Einlasssituation war wieder ziemlich entspannt. So wirklich voll wurde es an diesem Abend erst eine halbe Stunde vor Einlass. Pünktlich um 19 Uhr öffneten wieder die Türen. Diesmal sind wir genau in der Mitte der ersten Reihe gelandet. Besser geht es wohl nicht.
Um 20 Uhr kam im ausverkauften Eventim Apollo wieder
Billie Marten auf die Bühne. Der Auftritt glich dem des Vorabends. Da ich die Songs diesmal größtenteils kannte, hat mir das Konzert noch ein bisschen besser gefallen. Billie Marten wirkte mit ihrem Publikum auch etwas zufriedener als am Vorabend. Der Geräuschpegel war trotzdem wieder recht hoch. Nach einer halben Stunde war Schluss.
Umbaupause. Alles wie am Vorabend. Um 21 Uhr wurde der Saal dann wieder dunkel. Die beiden Bläserinnen kamen auf die Bühne und spielten "End of the Affair" an. Nach kurzer Zeit kamen
Ben Howard und die restliche Band dazu und eröffneten den Abend mit ebenjenem Song. Wieder ein absolut grandioser Einstieg.
Der Auftritt ähnelte in weiten Teilen dem ersten Konzert. Die Setlist wurde etwas umgestellt. "Conrad" wurde aus der Zugabe ins reguläre Set geschoben, das diesmal mit "I Forget Where We Were" beendet wurde. "The Burren" wurde leider gestrichen, dafür wurde "Time Is Dancing" mit einem schönen Outro erweitert. Die Band war wieder großartig. Ben Howard war noch etwas offener als am Vorabend, machte zwischendurch einige Witze und unterhielt sein Publikum auf sympathische Art und Weise. Gleichzeitig wirkte er aber nicht ganz so fokussiert. Da ich diesmal wusste, was auf mich zukommt, war die emotionale Wirkung des Konzerts nicht ganz so überwältigend wie am Vorabend. Trotzdem war es wieder eine unheimlich intensive Show, die mich sehr mitgenommen hat. Lichtshow und Videoleinwände haben das Gesamterlebnis abgerundet.
Die Zugabe wurde wieder mit der Klavierversion von "Days of Lantana" eingeleitet. Anschließend kam noch "All Is Now Harmed" als würdiger Abschluss. Danach hat sich die gesamte Band bei ihrem Londoner Publikum für beide Abende bedankt und verbeugt.
Was soll ich sagen? Insgesamt waren es zwei wahnsinnig tolle Konzerte eines meiner absoluten Lieblingskünstlers. Insbesondere der erste Abend war wohl ein Live-Erlebnis für die Ewigkeit. Ich bin sehr glücklich und dankbar, die Songs dieses Lieblingsalbums von mir nach zehn Jahren noch einmal in so einem Rahmen erlebt zu haben. Anfang November gibt es noch ein drittes London-Konzert im Eventim Apollo, das ich leider nicht mitnehmen kann. Aber es gibt ja auch noch den Berlin-Termin in gut zwei Wochen...
