MairzyDoats hat geschrieben: ↑Do 14. Mai 2020, 14:13
Ich muss ja sagen, dass ich diesen ständigen Rundumschlag gegen die gesamte Twitteria ein wenig ermüdend finde. Einerseits habe das Joko und Klaas Video mehr für den Feminismus gemacht als Twitter-Feminist*innen, andererseits können sie aber mit ein paar Tweets das ganze Video wieder einreißen und den kompletten Diskurs kapern. Einerseits ist das eine komplett zu vernachlässigende Bubble, andererseits kann man sich dem ne ganze Seite eines Forenthreads widmen.
Ich bin ja durchaus sehr viel auf Twitter unterwegs und auch in Teilen genau in dieser Bubble. Und ich muss sagen, dass ich persönlich fast ausschließlich gelesen habe, dass die Aktion zum großen Teil komplett abgefeiert wird, oder man es zum anderen Teil grundsätzlich sehr begrüßt, man aber auch konstruktive Kritik daran äußert, die ich durchaus nachvollziehen kann. Wenn eine Organisation wie TDF explizit dich und deine Existenz angreift und die dann in der Prime-Time beworben wird, kann ich verstehen, dass da bei einer guten Sache ein unguter Beigeschmack mitkommt. Gleichzeitig kann ich auch den Frust verstehen, wenn man seit Jahren feministische Aufklärungsarbeit betreibt und es dann eben tatsächlich nicht sonderlich intersektionell ist, Triggerwarnungen fehlen etc. Viele hätten sich einfach über einen kleinen Nebensatz gefreut. #aufschrei ist sieben Jahre her, #metoo fast drei und es hat sich gefühlt so wenig getan. (Ich möchte auch nochmal zu Denken geben, dass sich trans Personen womöglich auch bewusst weniger an dem Thema beteiligen, weil ihnen sonst wirklich garantiert das allergrößte Stück vom Hate-Kuchen zuteil wird und sie vielleicht nicht schon wieder Bock auf Morddrohungen haben und von Twitter gesperrt zu werden, weil sie von Trollen überrannt werden. Mir würde im Gegenzug auch keine trans Person einfallen, die sich nicht sehr darüber freuen würde, explizit mitgedacht zu werden.)
Ich fand das Video im Grunde natürlich auch echt toll, gut inszeniert und natürlich sehr sinnvoll, aber irgendetwas Neues habe ich da wirklich nicht (kennen-)gelernt - und der Grund dafür ist eben dieses schlimme Twitter. Es ist nämlich tatsächlich sehr gut, um aus erster Hand von Leuten zu lernen, die eben einfach eine andere Lebensrealität erleben. Und da halte ich es eher für kontraproduktiv, alles auf Gruppierungen und kollektive Aussagen einzudampfen, die ich so wirklich nicht sehe. Ich habe eher das Gefühl, dass hier wieder einmal einigen wenigen Stimmen die meiste Aufmerksamkeit geschenkt wird, die über das Ziel hinausschießen, die es einfach wirklich immer und überall gibt.
Twitter ist eine Nische - das sieht man eben immer wieder daran, dass vieles dort sehr theoretisch ist und überhaupt noch nicht realitätstauglich, eben weil die Allgemeinheit noch nicht im Ansatz bei diesem Grad der Sensibilisierung angekommen ist. Es hat damit wirklich extrem selten überhaupt großen Einfluss auf die breite Öffentlichkeit. Gleichzeitig finde ich es im Kleinen sehr nützlich, um gewissen Stimmen Raum zu geben und davon zu lernen. Ich empfehle Twitter als Tool, dessen Nutzen man recht indivuell anpassen kann - oder einfach komplett ignorieren kann, ohne dass sich irgendwas im Leben ändert. Twitter hat durchaus so seine Probleme, aber die schwerwiegendsten liegen imho ganz woanders.
Bei Großteil kann ich teilweise mitgehen, da aber nicht. Die Twittersphäre von der wir hier reden ist nicht nur theoretisch, sondern performativ und genau da liegt für mich das Problem. Wenn Politik auf reine Identitätsperformance reduziert wird, verdeckt das alle, die sich nicht in dieser Sphäre artikulieren können. Es ist absolut richtig, dass Twitter marginalisierten Gruppen eine Plattform bietet, um ihr Standpunkte zu vertreten und das ist einer der (für mich) wenigen Vorteile des Mediums.
Dennoch halte ich Twitter für enorm exkludierend. Ich mach das mal etwas platt an einem Beispiel: etwa 20% aller Frauen in Deutschland identifizieren sich in irgendeiner Weise als feministisch, bei Männern erwartungsgemäß noch sehr viel weniger. Diese Menschen stehen vollkommen außerhalb jeglichen feministischen Diskurses.
Ein Feminismus der exludiert kann nach dem Selbstverständnis des Queer-Feminismus nicht Feminismus genannt werden. Er tut aber genau das. Er fordert, dass eine feministische Aktion auf seine Bedürfnisse eingehen müsse, obwohl das auf Kosten der Zugänglichkeit für einen großen Teil anderer Gruppen gehen würde. Menschen außerhalb von Universitäten, Medienjobs oder Kulturkreisen haben ebenso ein Anrecht darauf, dass sie in feministische Diskurse einbezogen werden. Das tut diese Twitter-Sphäre aber nicht, ihre Sprache, ihre Bedingungen und ihre Performanz sind Beitrittshürden, die ein Großteil der Menschen ohne entsprechendes akademisches Kapital nicht erfüllen kann.
Diese Aktion sollte Menschen erreichen, die sich mit Feminismus nur oberflächlich beschäftigen, die keine Ahnung von inter-feministischen Diskursen haben und die den Kampf gegen sexuelle Gewalt als Teil des Feminismus nicht reflektieren. Das hat er erreicht, weil er hinreichend einfach war und nicht den akademischen Bildungsgrad oder die Theorietiefe erfordert, den Twitter-Feminismen voraussetzen. Das ist in etwa das äquivalent zu sprachlicher Inklusion. Genderegerechte Sprache inkludiert Frauen und Transpersonen, macht Texte aber für Menschen mit Lern- oder geistiger Behinderung endgültig unlesbar. Dieser Widerspruch lässt sich nicht auflösen.
Es gibt keine konfliktfreie Form des Zusammenlebens. Die Vorstellung, man könnte alle Interessen miteinander versöhnen ist ein vormodernes Gemeinschaftsbild, dass in Gesellschaften nicht funktioniert, aber in postmodernen Kreisen zunehmend wieder vorzufinden ist. Die Konstante Identitätsperformance bewirkt aber genau das: Mikrokosmen aus Partikularinteressen, die Widerspruch nicht in den heterogenen Interessen und Bedürfnissen innerhalb einer Gesellschaft sehen, sondern personalisieren und moralisieren. Begriffe wie TERF und SWERF sind ja nichts anderes als personalisierte Labels, die aussagen sollen: "Diese Person lassen wir im Diskurs nicht zu ". Dabei macht es dann leider selten einen Unterschied, ob die entsprechende Person offen transfeindlich ist, oder theoretische Grundlagen des Queer-Feminismus anfechtet, obwohl das ein meilenweiter Unterschied ist.
In diesem Forum habe ich Diskussionen bei unterschiedlicher Meinung immer so empfunden, dass mir auch bei grundsätzlichen Unvereinbarkeiten noch Respekt gegenübergebracht wurde (und ich hoffe ich habe das selbst auch immer getan). In Universitätsseminaren und auf SoMe habe ich leider vollkommen gegenteilige Erfahrungen gemacht, bis hin zu aggressiven persönlichen Angriffen und Bedrohungen zu dem Punkt, dass mich der Gedanke in bestimmte Seminare zu gehen, regelrecht krank gemacht hat.
Als Beispiel für sowas kann sich mal den gestrigen El-Hotzo Tweet anschauen und die reaktion auf Menschen, die ein differenziertes Bild der EU eingefordert haben.
Madita Oeming hat das tatsächlich ziemlich differenziert gefasst, alles andere was mir so (indirekt durch Online Artikel) untergekommen ist, hat das Format undifferenziert angegriffen und quasi für wertlose erklärt. Das hatte nichts mehr mit konstruktiver Kritik zu tun.
Das Potential den Diskurs innerhalb der Feminismen zu beeinflussen, würde ich dabei nicht unterschätzen. Menschen wie Lady Bitch Ray oder Yasmine M'Barek haben ja auch über SoMe hinaus eine entsprechende mediale Reichweite. In Universitätsseminaren ist diese Haltung auch omnipräsent.
Edit: Ich will das auch gar nicht auf Twitter reduzieren, Instagram ist da sehr ähnlich.