I’m Wide Awake, It’s Morning von Bright Eyes feiert 20-jähriges Jubiläum. Ihr kommerziell erfolgreichstes und für meine Begriffe ausgefeiltestes Album war ein Schritt zu einem klareren Sound, der aber kein bisschen Dringlichkeit und Intensität einbüßt.
Wie ich durch die Retrospektive von Stereogum gelernt habe sehen einige Fans das anders:
The most devout of Bright Eyes fans tend to keep I’m Wide Awake, It’s Morning at arm’s length. It’s the record in which Oberst – erratic and messy by definition – grooved one down the middle. It’s the record for the normies; the one you’ll hear at Starbucks.
Und ja, ich kann auch so sein. Häufig erachte ich auch ein Werk abseits des großen Klassikers als das Beste einer Band. Aber manchmal ist das populärste Werk mit dem bekannten Hit halt auch einfach der große Wurf. Und ich weiß nicht wie viel kreativer und emotionaler im zugleich reduzierten wie lauten Gewand Alternative Folk sein kann.
Auf der reduzierten Seite finden sich herzzerreißende Songs wie „Lua“, die ein weiterer tragischer Charakter in Conor Obersts Welt ist, so wie Laura Laurent auf dem Vorgänger; und natürlich „First Day of My Life“, immer noch eines der schönsten Liebeslieder aller Zeiten.
Krachend wird’s vor allem im Closer mit dem Titel als Set-Up und der Melodie als Punchline. Aber auch der eröffnende Song „At the Bottom of Everything“ ist mitreißend instrumentiert. Nach einer Meisterdemonstration in Sachen „Wie beginne ich ein Album und ziehe den Hörer in meinen Bann?“ untermalt die Band mit viel Spielfreude Conors einerseits düstere, andererseits humorvolle Lyrics in dem Song. Ein Trick, den er ein Album später mit „I Must Belong Somewhere“ erfolgreich wiederholt.
Es gibt viele, viele tolle musikalische Ideen, die Country- und Americana-Akzente sind sehr gut gesetzt und der Sound ist wie gesagt klar, reichhaltig und einnehmend. Aber zu was ganz Besonderem wird das Album durch die Lyrics und Conors unnachahmliche Vortragsart. Es gibt so viele Zeilen und Passagen, die mich nun schon seit knapp 20 Jahren begleiten.
Sei es, wenn Conor den seelischen Abgrund tief hinunterblickt:
"I’m happy just because, I found out, I’m really no one.”
"We might die of medication but we sure killed all the pain.”
"The sun came up with no conclusions.”
Sei es, wenn er Bilder für Einsamkeit findet, die man nicht mehr vergisst:
"When everything is lonely, I can be my own best friend.
I get a coffee and a paper, have my own conversations.”
Oder wenn er einfach Weisheiten links und rechts raushaut:
"So when you're asked to fight a war that's over nothing
It's best to join the side that's gonna win.”
“I’m not surprised, but I never feel quite prepared.”
Ich könnte noch ewig so weiter machen. Lyrisch eines der dichtesten Alben überhaupt. Ich habe seine Vortragsart schon erwähnt und die hebt natürlich viele Bright Eyes-Songs heraus, aber auf diesem Album gibt es einige dieser Momente, wo seine Stimme unter dem Gewicht der Worte nachzugeben scheint. Das gibt dem Ganzen eine so intime Note, als würde er nur für dich in diesem Moment singen.
Bright Eyes-Alben zeichnen sich zwar durch ihre Überbordendheit, durch die Spur Wahnsinn irgendwie aus. Auf „I’m Wide Awake, It’s Morning“ greifen die einzelnen Versatzstücke mehr ineinander, es ist sehr viel luftdichter (was die OG Bright Eyes Fans so verstimmt). Aber für meine Begriffe ist es von vorne bis hinten makellos.