
Wave-Gotik-Treffen (Leipzig)
Wie bei den meisten größeren Festivals in Deutschland fand die 29. Ausgabe mit zweijähriger Verspätung statt - ein Umstand, der sich vermutlich auf die Mange der teilnehmenden Schwarze-Szene-Menschen ausgewirkt hat. Die Kommunikationspolitik ist ähnlich oder noch katastrophaler als die hier zuletzt vielbeschriebene beim Primavera. Die Website sieht auch 2022 straight aus, als wäre sie eine der ersten im sog. Internet gewesen und auch bei Facebook erfährt man nur dann was, wenn es in kurzzeiligen Beiträgen preisgegeben wird. Der Vorverkauf startet traditionel sehr kurzfristig, meist so 2-3 Monate vorher. Das war auch dieses Jahr nicht anders - kann man den Veranstalter*innen allerdings in diesem Fall kaum zum Vorwurf machen, da viel früher ja auch gar nicht klar war, dass das Festival stattfinden kann. Nicht nur wegen der Pandemie, sondern weil das Hauptgelände, der Agra-Messepark, zeitweise als Unterkunft für ukrainische Geflüchtete genutzt wurde. Die Stadt hatte zuerst mitgeteilt, dass das Festival sich wohl einen anderen Ort suchen müsste, dann wurde aber umgeplant und es fand doch alles wie sonst statt. Nunja, dann kam aber hinzu, dass der Festival-Preis aufgrund der gestiegenen Kosten um 15 Euro pro Tag, also insgesamt 60 Euro erhöht wurde. Dann kommt man bei ca. 180 raus, was für vier Tage Festival mit szene-bekannten Bands und einem sehr breitgefächerten Programm mit Lesungen, Ausstellungen, Filmen, Theater usw., usf. + Kostenübernahme im ÖPNV in Leipzig natürlich bei weitem nicht zu viel ist. Für 2020 waren mit den Neubauten und Bauhaus etwa auch so große Bands gebucht, wie da vllt noch nie. Leider waren die wohl nicht wieder zu bekommen, mit Gary Numan gab es aber den obligatorischen Legendenact.
Wenn man vorher aber mit weniger gerechnet hat und auch sonst ja unter den steigenden Kosten zu leiden hat, kann ich schon verstehen, warum sich einige dann kurzfristig gegen den Kauf entschieden haben. So fanden sich letztlich 15.000 Besucher*innen in Leipzig ein, 2019 waren es wohl einige Tausend mehr. Wir hatten zum Glück schon 2021 Tickets für den alten Preis gekauft. Dort hielten die Veranstaltenden an der Austragung fest, bis es ca. 4 Wochen vorher abgesagt werden musste.

Dazu kommt dann natürlich noch einiges mehr an Kosten: Verpflegung vor Ort, eh klar, + An- und Abreise (eine Freundin, mit der wir zusammen gewohnt haben, hat aber zum Glück Firmenwagen hehe) und eben Unterkunft. Man kann zwar auch campen, aber meine Freundin + die meisten unserer Freundinnen und Freunde vor Ort gehören zu denjenigen, die sich dort jeden Tag wirklich ausgiebig zuerchtmachen und da viel Arbeit und Mühe für investieren (hier, wer Interesse hat, was das heißt). Das ruft ja tatsächlich bei vielen Achims und Annettes aus dem Internet (Facebook) immer recht negative Kommentare hervor (früher war das ja noch nicht so, immer nur der Fokus darauf, DiEsE InFlUeNcEr GeHöReN gAr NiCht ZuR SzEnE), finde das an der Stelle aber, auch im Vergleich z.B. zum oft kritsierten Coachella, ziemlich panne, denn die Schwarze Szene hat sich meines Wissens nach auch immer als Raum für alle Arten des Äußeren (ja gut, dunkel gekleidet) verstanden. Aber gut, auf dem Festival selbst wird man solche Kommentare natürlich nie zu hören bekommen, das ist ein Fall für Facebook.

Back to topic: Gewohnt haben wir (Vierergruppe) in einer Pension zwischen Connewitz und dem Agra-Gelände, also ziemlich nah am Geschehen, Tram direkt vor der Tür. Dadurch war es in die Stadt und zu den dortigen Veranstaltungsorten ein recht kurzer Weg. Dass Rewe direkt gegenüber war, ist ein weiterer Pluspunkt. 2018 und 2019 durften wir zum WGT noch in Stebbies Wohnung (

Der Donnerstag war erstmal ankommen, Bändchen holen, essen, fertig machen und dann ab zur Moritzbastei, einem teilweise gewölbeartigen Veranstaltungszentrum mit mehreren Dancefloors, einer Konzertbühne, mehreren Bars, Außenbereichen und sogar einem Bistro, wo es was zu essen gab (war dann zum Glück nicht mehr nötig). Die Location ist definitiv eine der schönsten in Leipzig und der Noise/Industrial Floor zumindest in unserer Gruppe relativ legendär. Vor Ort hat man die weniger zahlenden Festivalbesucher*innen aber definitiv nicht gemerkt, denn es war BRECHEND voll. Teilweise dauerte es mehrere Minuten, vom einen Raum in den nächsten zu gelangen und der Erwerb eines Getränks war ein ganz schönes Abenteuer. War letztlich trotzdem ein lustiger Abend und es war, das stand das ganze Wochenende sowieso ein wenig im Mittelpunkt, echt super, so viele bekannte Gesichter wiederzutreffen.
Das eigentliche Programm startete am Freitag - traditionell mit dem Viktorianischen Picknick im Clara Zetkin Park. Das ist eine offene Veranstaltung, wo auch nicht Zahlende hinkommen können. Natürlich haben oben genannte Boomerinnen und Boomer auch daran etwas auszusetzen, aber egal. Die Outfits dort sind jedenfalls noch mal ein wenig spezieller und oft auch aufwändiger als beim "normalen" Festival. Viele Geh- und Reifröcke, Gehstöcke, Tische mit entsprechenden Gedecken, teilweise höfische Kleidung (keine Ahnung, ob historisch akkurat). Ist natürlich irgendwo ein Schaulaufen und die vielen Fotografen gehen mir (ich werde ja nicht fotografiert, aber die Mädels schon) immer ein bisschen auf den Keks.


Der Samstag sollte ja schließlich auch relativ intensiv werden mit dem von mir auserkorenen Metaltag (richtig rockig und handgemacht war das). Nach Verpflegung auf dem Festivalgelände (beim Kartoffelkäse-Foodtruck - eine Mischung aus den genannten Nahrungsmitteln frittiert und mit Toppings versehen - der Hammer, haben wir noch 2x danach gegessen) ging es auf die lange Reise ins Westbad. Denn dort spielten hintereinander A.A. Williams, Gggolddd, Brutus und Alcest. Erstere erhielt durch ihr 2020 erschienenes Album Forever Blue ja hier im Forum schon, zurecht, relativ viel Zuspruch. Dieses - das Coveralbum aus der Isolationszeit von 2021 wurde komplett ausgespart, lohnt sich aber auch, da mal reinzuhören - war auch Hauptbestandteil des Sets. Der Sound war perfekt und ihre Stimme hat einen sofort in den Bann gezogen. Die ausufernden Songstrukturen zogen einen noch weiter hinein und so waren die am Ende ca. 45 Minuten viel zu kurz. Auch hier: Nächste Solotour bin ich dabei. Gggolddd im Anschluss ging musikalisch in eine ähnliche Richtung, aber mehr Upbeat. Habe ich in den letzten Monaten relativ viel gehört, auch hier die Empfehlung für das aktuelle Album This Shame Should Not Be Mine. Ganz so ekstatisch wie AA Williams wurde es dabei aber nicht. Das größte Highlight des Festivals waren danach Brutus. Die sind hier ja schon oft besprochen worden, aber der klare Befehl: Wenn ihr was (auch alle Hurricane-Besucher*innen) mit der Musik anfangen könnt, guckt euch das an. Mega energiegeladen und ich erinnere mich nicht, wann das Konzept Drummer*in (in diesem Fall Drummerin) als Sänger*in live jemals so gut funktioniert hat. Gespielt wurden alle "Hits" von Nest und Burst. Das Publikum quitierte das Gesehene mit berechtigtem lauten Applaus. Alcest danach erfuhr generell noch ein wenig mehr Zuspruch, sicher wegen der Fans der Band, waren ja auch Headliner in dem Klub an dem Abend. Ich mag die Musik auch und die ballerigern BM-Parts gingen sehr gut rein. Nach Brutus wollte der Funke bei mir aber nicht so ganz überspringen und letztlich hätte ich auch mit 15-20 Minuten weniger leben können. Das lag aber nicht am Auftritt an sich, sondern halt an mir. Danach ging es im Felsenkeller bzw. Naumanns noch zu einer Nine Inch Nails Party. Der Laden ist mir schon 2019 als sehr hitzeempflindlich aufgefallen und so lief man auch im Raum mit dem Floor direkt gegen eine Wand aus Schweiß und Fuß. Der DJ mische NIN-Songs mit anderen Industrial-Klassikern. War ganz nett, aber lange konnte man es dort nicht aushalten. Bei den Gegenbenheiten überraschte es mich nicht, dass relativ viele (wohl ersterkrankte) mit Corona nach Hause gefahren sind. Leider durfte man da wegen der Anwohnenden nicht lüften. Naja...
Sonntag ging es tagsüber zunächst ins Heidnische Dorf, einem quasi Mittelaltermarkt mit entsprechender Bühne in der Nähe des Agra-Geländes. Musikalisch etc. ist das da nicht meins, aber das Essen ist dort definitiv das beste des gesamten Festivals und die entspannte Stimmung toll. Außerdem gibt es Federweißen in 1-Liter-Flaschen mit verschiedenen Geschmäckern. Super.

Montag ist normalerweise so ein bisschen der ruhigere Tag, wo man halt noch mal genießt, umherschlendert, was isst und vielleicht noch ein Abschiedskonzert mitnimmt. Davon hatten wir aber 3 auf dem Plan, zum Glück alle abends im Haus Leipzig. Zu Qual kamen wir sogar etwas zu spät, aber nach vorn kommen, war da zum Glück noch kein Problem. Auch eines der großen Highlights. In Hamburg hatten wir ihn, ein Ein-Mann-Projekt des Sängers von Lebanon Hanover, William Maybelline, im April im Goldenen Salon vor ca. 30 zahlenden Gästen gesehen. Im Haus Leipzig war es dagegen voll und sein energiegeladener EBM führte beinahe schon zu frenetischen Jubelstürmen. Damit hatte er wohl selbst nicht gerechnet, habe ich jedenfalls seinem fast beschämten Grinsen entnommen.


Alles in allem war es einfach wunderbar. Viele Leute wiedergetroffen, endlich überhaupt mal wieder so unter Leuten sein, auch in der Gruppe im Zimmer hat es wunderbar geklappt und eigentlich waren alle Konzerte wunderbar. Ich hatte, was zuvor sicher auch einem Mangel an Engagement meinerseits geschuldet war, noch nie so viele Bands, auf die ich mich vorab gefreut hatte - und das, obwohl, wie gesagt, Acts wie Bauhaus nicht wieder gebucht wurden. Ein weinendes Auge in Sachen WGT-Vergangenheit wurde zumindest teilweise getrocknet. Denn ich habe diesmal die klassischen Neofolk-Bands im Line-Up nicht gesehen, die wohl in der Vergangenheit regelmäßig Götz Kubitschek und andere Identitäre Arschlöcher zum Festival gezogen haben. Vielleicht (ich hoffe nicht) habe ich einfach nicht richtig geguckt, aber das wäre ein wichtiger Schritt, wo es dem Festival ja zuvor nie wirklich gelungen ist, sich davon zu distanzieren. Mit Varg spielte allerdings im Mittelalterdorf eine in der Vergangenheit kritisch zu betrachende Band. Von daher, mal sehen, es dahingehend in Zukunft weitergeht.
Huch, sorry für den Roman. Zum anderen Festival schreibe ich dann demnächst noch was.
