Hm, joa. Ich sehe in dieser Diskussion recht viele Baustellen und komme eigentlich immer wieder zu dem Schluss: Alles nicht so wild.
Ich denke, dass die Parameter für eine bahnbrechende musikalische Entwicklung hier offen herumliegen und nicht so richtig ergründet werden. Viele musikalische Entwicklungen gingen mit technologischen Entwicklungen einher, wenn man sich die Musique Conrète und die Entwicklung über den Krautrock zu Kraftwerk anschaut; oder aus einer durchaus auch musikalisch motivierten Antithese des Punk als Gegenentwurf gegen die Verkopftheit des Progressive Rock; oder auch aus einer Not heraus, wie zum Beispiel im Hip Hop, der aus einer sozialen Schicht entstand, die sich weder Instrumente, noch musikalische Ausbildungen leisten konnte und somit über existierende Instrumentals mit Sprechgesang musikalisch entfaltete. So Sachen wie Punk, Metal und Hip-Hop hatten eben auch den angesprochenen Schock-Faktor, ein Auflehnen gegen die Vorgänger-Generation. Das haben wir überwiegend so direkt gar nicht miterlebt und können das jetzt retrospektiv ergründen, ohne dass das wahrscheinlich damals jemand allzu aktiv so verkopft mitverfolgt hat.
Heute zeigt sich dieser technologische Parameter vor allem in einer Sache: Accessibility. Freeware auf Geräten, die quasi zur Grundausstattung gehören, recht gutes sehr günstiges Equipment mit dem man aufnehmen kann, hat schon recht lange ein professionelles Studio abgelöst, ohne, dass das dann unter "Lo-Fi" oder "Garage" laufen muss - jeder hat theoretisch mit einer sehr niedrigen Schwelle die Möglichkeit, sich musikalisch zu verwirklichen und sogar zahlreiche Plattformen zur Auswahl, seine Werke kostenlos und vielleicht sogar gewinnbringend weltweit auszustellen. Man kann ja heutzutage sogar eine Band über mehrere Kontinente führen. (Kann die Musikgeschichte ja nichts für, dass
Superorganism hier teils so verhasst sind) Also vielleicht schauen wir in zehn oder zwanzig Jahren zurück und denken: Ach ja, Soundcloud, wa.
Was den Schock-Value angeht ist es denke ich wirklich, dass wir diesen popkulturellen Konflikt ein Stück weit überwunden haben, uns also nicht mehr allzu viel schocken kann und es deshalb eben auch nicht mehr so plakativ nötig ist. Finde ich ganz gut so. Hätte ich irgendwie auch nicht so richtig Bock drauf, mich mit Konzertbesuchern rumzuschlagen, die jemanden als Judas bezeichnen, weil er statt einer akustischen, eine elektrische Gitarre auspackt. Ich finds super, dass Janelle Monáe einen
lupenreinen Popsong veröffentlichen kann und dazu im Vulva-Kostüm durchs Musikvideo tanzen kann und die Leute denken sich 'ok cool', oder 'nice empowerment' oder 'ihr letztes Album war aber bahnbrechender'. Ich muss nicht geschockt oder aus den Socken gehauen werden, ich denke der Fortschritt liegt in den Nuancen und den Details und sehr oft eben in den Texten. Ich glaube auch, dass man sich musikalisch nicht mehr
abgrenzen muss, wenn dann eher inhaltlich politisch, wo wir wieder bei den Inhalten wären. Da hat der Hip Hop seine gesellschaftliche Relevanz auch nicht unbedingt eingebüßt, sondern vielleicht eher weiter entwickelt, ist selbst verkopfter und musikalisch versierter geworden, wie man vielleicht an Alben wie "TPAB" oder dem Konzeptalbum "undun" von The Roots oder dem experimentellen, afrofuturistischen Album "Splendor & Misery" von clipping. sieht. Gleiches gilt für den R'n'B mit der oft genannten Solange oder auch FKA twigs, die hier gerade in aller Munde ist. (Siehe z.B. auch, wie sich Beyoncé auf "Lemonade" präsentiert)
In vielerlei Hinsicht habe ich das Gefühl, dass viele Künstler aus marginalisierten Schichten Früchte ernten, für die sie lange gekämpft haben und härter gearbeitet haben als so manch anderer, auch "New Normal" genannt. (natürlich ohne dass dieser Kampf vorbei wäre) Spätestens post-#metoo hat sich die Perspektive verschoben, dem Narrativ von marginalisierten Gruppen zuzuhören ist relevanter geworden, auch weil es ein interessanteres Narrativ geworden ist, das oft genug überhört wurde. (übrigens auch ein entscheidender Grunde, denke ich, warum die Bestenlisten am Ende des Jahrzehnts sich so sehr von denen in der Mitte des Jahrzehnts unterscheiden) Dass sich jene marginalisierten Gruppen dann eben in den musikalischen Gefilden austoben, in denen der Raum für sie existiert, wie zum Beispiel Hip-Hop und R'n'B, finde ich dabei wenig überraschend. Dass dabei dann der Indie-Rock ein wenig in die Irrelevanz rutscht, ebenso.
Ach ja. Indie-Rock, dawarjawas. Vielleicht ist es sogar tatsächlich ein bisschen viel verlangt, von einer Musikrichtung nach zwanzig bis dreißig Jahren Innovation zu erwarten. Und vielleicht ist eben jenes Narrativ momentan einfach gesellschaftlich gesehen nicht so spannend. Da sind dann Werke von St. Vincent, Sleater-Kinney und PJ Harvey noch die Gewinner aufgrund ihrer inhaltlich politischen Komponente, was musikalisch in seiner Radikalität wohl noch am allerbesten auf "The Underside Of Power" von Algiers aufgeht. Aber wer weiß, vielleicht gibt es demnächst mehr Störgeräusche, mehr Glitches und mehr spannende Geschichten im Indie-Rock, mal schauen.
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