Die Familie meiner Freundin fährt seit ein paar Jahren als gemeinsames Familien-Event zusammen zum Lollapalooza Berlin. Nach den Corona-bedingten Ausfällen 2020 und 2021 haben wir letztes Jahr aufgrund des wenig ansprechenden Line-Ups darauf verzichtet. Dieses Jahr sollte es aber wieder so weit sein.
Bislang war ich nur 2016 für einen Tag vor Ort gewesen, damals noch im Treptower Park. Und im Grunde war das für mich (und viele andere) damals vor allem ein Radiohead-Konzert mit etwas Bonus-Programm und nicht wirklich ein Festival-Erlebnis.
Aber kommen wir zu diesem Jahr. Meine Motivation vorab war nicht wahnsinnig groß. Unter den sowieso schon wenigen Perlen im Line-Up gab es einige bittere Absagen (Rina Sawayama, Lil Yachty und zuletzt auch noch kurzfristig Sam Fender), sodass die musikalische Relevanz für mich kaum gegeben war. Trotzdem hat das Wochenende sehr viel Spaß gemacht. Eine sehr gute Organisation, ein unkompliziertes und transparentes Cashless-System, ein ansprechendes Festivalgelände im Olympiapark und für Anfang September ein wahnsinnig gutes Wetter (– nächstes Mal aber gerne mehr Gelegenheiten für Schatten vor den Hauptbühnen). Auch das Publikum (primär jung, weiblich und glitzernd) war weitaus weniger anstrengend als erwartet. Gastronomisch gab es eine bunte Auswahl mit vielen vegetarischen und veganen Optionen. Und für die Unterhaltung zwischendurch haben einige Kleinkunst-Projekte gesorgt.
Und dann war da ja auch noch die Musik...
FREITAG
MEUTE (Main Stage North) – Stimmungsvolle Orchester-Tanzmusik bei strahlendem Sonnenschein mit gut gelauntem Publikum. Solider Einstieg.
Lauren Spencer Smith (Main Stage South) – Ungefähr zehnmal der gleiche Song über Beziehungsschmerz und irgendwelche Ex-Freunde. Stimmlich ganz schön, aber musikalisch und inhaltlich war mir das zu eintönig. Und das Adele-Cover hätte nicht sein müssen.
Ayliva (Main Stage North) – Auto-Tune-Rap für Herzschmerz-Teenies. Ich würde Geld bezahlen, um das nicht noch einmal sehen zu müssen. Fand das wirklich ganz schrecklich – musikalisch, gesanglich, inhaltlich... Puh, nee. Aber zumindest war der Show-Teil mit den Rosen ganz niedlich.
futurebae (Weingarten Stage) – Auto-Tune-Rap rund um das Thema Sekt. Angenehmer als Ayliva (ohne rationale Begründung), aber insgesamt auch so absolut nicht meine Welt.
Zara Larsson (Main Stage South) – Eine der Pop-Sängerinnen der Stunde. Entsprechend voll war es vor der Bühne. Ein, zwei Radio-Hits kannte ich, der Rest klang sehr ähnlich. Die Sonne hat genau in Blickrichtung zur Bühne ordentlich geknallt, das war schon unangenehm. Ansonsten aber ganz nett.
High Vis (Alternative Stage) – Mein erstes Festival-Highlight. Gut zehn Minuten vor Beginn war vor der Bühne noch gar nichts los. Die Konkurrenz war mit Ava Max aber auch sehr stark. Und wahnsinnig viele Fans werden wohl auch nicht für die Band den Festivalbesuch in Angriff genommen haben. Waren ja doch eher die Exoten im Line-Up. Es wurde aber noch etwas voller und der Auftritt hat dann sehr viel Spaß gemacht. Gut aufgelegte Band mit einem sympathischen Sänger, der selbst etwas irritiert von dem Booking zu sein schien. War ganz amüsant. Nach etwa 40 Minuten war trotz 60-Minuten-Slot Schluss. Gerne wieder, das war richtig stark
The Blaze (Main Stage South) – Im Vergleich zu Zara Larsson auf derselben Bühne war es sehr viel leerer. Ich bin ein paar Minuten nach Beginn ohne Probleme in den vordersten Bereich spaziert und konnte dort mit viel Platz um mich herum tanzen. Der Auftritt hat mir sehr gut gefallen. Stimmige Beats, die die Golden-Hour-Atmosphäre gut eingefangen haben. Dazu eine sehr schöne Videountermalung auf den großen Leinwänden. Eine positive Überraschung.
Mumford & Sons (Main Stage North) – Ewig nicht gehört und gesehen. Vor dem Festival hätte ich mir entsprechend auch lieber einen Headliner gewünscht, den ich nicht schon so häufig live mitgenommen habe. Der Auftritt hat mich aber von den ersten Tönen an sehr glücklich gemacht und fast zehn Jahre zurückversetzt. Viele alte Hits, die ich auch nach all den Jahren immer noch gerne mitgesungen habe. Und die Band war sichtlich motiviert, ihre Headliner-Rolle angemessen auszufüllen. Das war wirklich ganz schön.
Aurora (Alternative Stage) – Nach diversen Absagen waren nicht mehr viele Must-See-Acts übriggeblieben. Mit Aurora aber immerhin noch die wichtigste Kandidatin. Ihr Album "The Gods We Can Touch" war einer meiner Dauerbrenner im vergangenen Jahr. Von daher war ich sehr glücklich, einige der Songs endlich live erleben zu können. Dazu gab es diverse Hits aus ihrer Diskografie. Das etwas spezielle Auftreten der norwegischen Künstlerin hat mich zwar mitunter irritiert und der Lärm von Alligatoah nebenan im Stadion war insbesondere in den ruhigeren Momenten störend, trotzdem war der Auftritt das erhoffte Highlight. Ein sehr schöner Abschluss des ersten Festival-Tages.
Danach gab es im Vorbeigehen am Stadion noch "Willst du" von besagtem Alligatoah, einen leckeren Seitan-Döner und dazu etwas Feuerwerk und Lasershow zu den letzten Songs von David Guetta.
SAMSTAG
LINA (Main Stage North) – Die ehemalige "Bibi Blocksberg"-Darstellerin Lina Larissa Strahl macht jetzt Deutschrock. Sehr unspektakulär.
Luvre47 (Main Stage South) – Berliner Deutschrap aus dem "Sonne und Beton"-Kosmos. Nicht meine Welt, vor allem textlich spricht mich das so gar nicht an, aber im Sonnenschein war das ganz entspannt. Und Paula Hartmann (die ich bislang auch nur vom Namen kannte) kam zwischendurch für ein Feature auf die Bühne.
Only the Poets (Main Stage North) – Eine dieser typischen Pop-Rock-Support-Acts. Ziemlich belanglos, von daher gibt es da gar nicht viel mehr zu sagen. Und wer hat bitte dieses absolut hässliche Banner entworfen?
Chase Atlantic (Main Stage South) – "Fuck the fucking fuck up" in jeden zweiten Satz. Das war ganz schön peinlich. Musikalisch hat mich die Alternative-/Hip-hop-/R&B-Mischung aus Australien so gar nicht angesprochen. Aber es gab durchgängig Pyrotechnik und die Teenies haben es lautstark gefeiert.
Bilderbuch (Main Stage North) – Noch nie live gesehen und ich hatte eigentlich fest damit gerechnet, dass ich das ganz schlimm finden würde. Stattdessen hat mir der Auftritt wirklich überraschend gut gefallen. Unterhaltsam, druckvoll und viel gitarrenlastiger als erwartet. Gesanglich gibt mir das nicht viel, aber der Auftritt war wirklich rund. Würde ich mir sogar wieder anschauen.
Jason Derulo (Main Stage South) – Kann ein Auftritt schlecht sein, der mit "Whatcha Say" startet? Danach folgte Hit an Hit an Hit. Da kannte ich einfach mal so ziemlich alles, obwohl ich vorher die wenigsten Songs bewusst hätte Jason Derulo zuordnen können. Hat Spaß gemacht, auch wenn die Performance auf der Bühne aus der Zeit gefallen zu sein schien.
SDP (Main Stage North) – Ballermann-(Pop-)Rap der schlimmsten Sorte. Bislang bin ich dem immer erfolgreich aus dem Weg gegangen, diesmal hat es mich erwischt. Es gab Features von Finch, Kontra K und Montez. Das Publikum ist komplett durchgedreht. Ich hätte gut darauf verzichten können.
Macklemore (Main Stage South) – Auch Macklemore hatte ich bislang noch nie live gesehen. Bei seinen Hurricane-Auftritten vor etwa zehn Jahren ist immer etwas dazwischen gekommen (im Zweifel einfach das Bier auf dem Campingplatz). Jetzt hat es endlich mal gepasst und der Auftritt hat auch wirklich Spaß gemacht. Muss ich zu Hause nicht hören, aber live in der Nachmittagssonne war das schon gut tanzbar und hat für ordentlich Stimmung gesorgt.
Imagine Dragons (Main Stage North) – Ähnlich wie bei Macklemore – zu Hause brauche ich das absolut nicht, aber live wissen die Herren aus Las Vegas schon, wie man eine bombastische Headliner-Show aufzieht. Und genug bekannte Hits zum Mitsingen haben sie ja sowieso. Von daher hat mir der Auftritt als Festival-Abschluss sehr gut gefallen, auch wenn die eigentlich sympathischen und gut gemeinten Ansagen des Sängers phasenweise dicht am Pathos waren. Am Ende des letzten Songs gab es als großes Festival-Finale noch ein sehr ansehnliches Feuerwerk. Ein würdiger Abschluss.
Ich habe im Voraus viel über das Festival und insbesondere über das Line-Up gemeckert. Aber am Ende war es doch ein wirklich schönes und kurzweiliges Wochenende mit einigen (auch musikalischen) Highlights.
Es gibt definitiv Festivals, die mich musikalisch sehr viel mehr ansprechen. Aber das Gesamterlebnis war doch überraschend positiv. Nächstes Jahr gerne wieder, wenn das Line-Up keine Voll-Katastrophe wird. Und selbst dann hätte ich bestimmt trotzdem Spaß.
