Finn hat geschrieben: ↑Mo 4. Jan 2021, 13:24
Kurzer Themawechsel:
Jetzt nach dem Erstellen meiner Listen ist mir aufgefallen, dass ich das Jahr musikalisch ziemlich schwach fand. Klar gab es wieder einige wirklich gute Album, aber gerade in der Spitze kam da kaum etwas. Bei Quadro ist meine #3 gerade noch so in den Top 50 drin und ich dachte mir da so: "Ja, da könnte die bei mir auch stehen". Es gab einfach sehr viele 7.5-8/10, aber kaum 9/10. Außer meiner #1 hat mich kein Album so richtig weggeknallt und reingezogen. Und selbst das weniger als z.B. Greet Death letztes Jahr oder Rolo Tomassi und Foxing davor. Dadurch bin ich denke ich noch weiter in den Nischen gelandet, gerade Screamo war dieses Jahr richtig geil, aber davon kann man sich halt auch nur in Maßen die Highlights geben. Ansonsten bin ich häufig bei alten Helden hängengeblieben, weil da auch solide Alben kamen, die mir die Sicherheit gegeben haben, dass ich sie auch in einigen Jahren noch hören werde - auch wenn ich sie vielleicht in diesem Moment nicht so gut finde wie andere.
Auch gab es einige persönlichen Enttäuschungen, die die Kritiker*innen nicht so gesehen haben. Mal klitzeklein (Phoebe Bridgers, hat mich emotional nicht so abgeholt wie der Vorgänger), mal schon recht deutlich (Fiona Apple, beim Katzengejaule war ich raus). Auch HipHop war so schwach wie nie, mit Blu & Exile habe ich nur ein HipHop-Album in den Top 50 und auch das aufgrund der Länge nur ein paar mal gehört. Da bekomme ich schon langsam Angst, dass ich mich bald zum grumpy old dude entwickle, der früher alles besser fand und sich vom Zeitgeist entfernt
Mal sehen, was 2021 bringt. Ich bin gespannt.
Ich würde es nicht so hart fomulieren ("grumy olf dude") und schon gar nicht als Vorwurf, aber die Masse an 90s-inpired Gitarrenmusik, für die du hier oftmals die Fahne hochhältst, ist doch schon seit 10 vom Zeitgeist entfernt, oder?
Was Hip Hop angeht war es tatsächlich kein Jahr der "großen" Releases, aber mit neuen Alben von Quelle Chris, R.A.P Ferreira (fka Milo), Armand Hammer, Bobby Woods (& Moor Mother), Backxwash, clipping. (mit Abstrichen) gerade im Underground-Bereich richtig viel gutes dabei.
Ansonsten verstehe ich die Kritik am RR-Forum nicht wirklich (aus der Perspektive dieses Forums zumindest). Etwas übertrieben gesagt ist das einzige, das uns unterscheidet, der Zufall, dass unser Background das Hurricane Festival war. Die Musik, die hier größtenteils hofiert wird, ist zwar vom Namen der Künstlerinnen her manchmal etwas neuer und jünger, das Gros würde aber rein künstlerisch nicht auffallen auf einer Hurricane-Ausgabe der frühen 2000er-Jahre. Der Musikgeschmack hat sich doch oft überhaupt nicht weiterentwickelt (was vollkommen okay ist), sondern viele haben nur Glück, dass Frauen jetzt mit der gleichen Musik erfolgreich sind, wie prädominant Männer in den 90er-Jahren. Aber schon damals gab es tolle Musik von Frauen, die rein ästhetisch sehr ähnliche Musik gemacht haben, wie junge Künstlerinnen die heute damit Erfolg haben. Liz Phair, allgemein weite Teile der Riot Grrrl-Bewegung, PJ Harvey, Bush Tetras, L7 und viele Unbekanntere mehr – fortschrittlich ist alles doch heute nur von der Genderperspektive aus (was schonmal super ist, nicht missverstehen), künstlerisch hingegen null.
Sich hier jetzt als superprogressiv zu fühlen, nur weil man das Glück hatte, dass nun mehr Frauen präsent sind in den gleichen Indie-Musik-Gewässern, die man selbst seit den 2000ern nicht verlassen hat...I don't know. Ein gutes Bespiel ist
folklore von Taylor Swift, bei dem ich einfach mal unterstelle, dass ein nicht allzugeringer Teil des Kritiker-Hypes in den etablierten Musik-Gazetten (und auch hier), daher rührt, dass man sich freut, dass man nun endlich auch ein The National-Album von einem etablierten, weiblichen Popstar genißen kann und sich dafür gar nicht erst mit neuen Genres, Trends und Ideen des Zeitgeistes auseinandersetzen muss. Man muss den eigenen Horizont nicht verlassen, denn man hat das Glück, dass die Musik, die es braucht, um als progeressiv zu gelten, zufällig selbigen hinein gelaufen kommt.
Ein riesiger Teil, der tatsächlich neuen, grenzenverschiebenden und zeitgeistigen Entwicklungen in der Musikszene spielen im 2000er-Indiefestival-Gemisch hier doch überhaupt keine Rolle (und das ist natürlich vollkommen okay). Hätte es in den Musikrichtungen, die bei den Ringrockern präsenter sind, diesen Gender-Turn gegeben und nicht bei uns, wären die Rollen vermutlich umgekehrt und hier würden noch immer The National mit ihrem 14. Alben die Preise einheimsen...oh Moment mal.
Wie gesagt, ich finde das alles auch vollkommen okay und will hier niemandem den Geschmack madig reden, aber wenn man Progressivität predigt, macht man es sich glaube ich etwas einfach, wenn man nur den eigenen Standpunkt und den der noch weiter hinterherhängenden Ringrocker miteinbezieht.
PS: Unsere Jahresliste 2019 enthielt übrigens genau 3 schwarze Künstler*innen in der Top 50. Und dass obwohl aktuell gerade schwarze Künstlerinnen an der Spitze der musikalischen Innovationen und auch Qualität unterwegs sind. Allerdings sind diese im Gegensatz zu weißen Indie-Musikerinnen tatsächlich in Genres unterwegs, für die viele hier erstmal ihren Horizont erweitern müssten – und das passiert halt nicht.