Leider verstehe ich dein Ansinnen immer noch nicht. Dein ursprünglicher Vorwurf war doch, dass aktuelle Musik zu visionslos, zu apolitisch ist, sehe ich das richtig?slowdive hat geschrieben: ↑Di 12. Nov 2019, 12:08Jein. Es halt eher diese typische Gegenüberstellung von Hochkultur und Popkultur (die Begriffe schätze ich übrigens nicht, da sie eine qualitative Hierachie beschwören, die es so nicht gibt). Popkultur ist meines Erachtens im Gegensatz zur Hochkultur von kommerzielleren, zeitgeistigeren und auch gesellschaftlichen Einflüssen und Debatten durchzogen und taugt daher eher zur Analyse von Kultur und Gesellschaft. Letzere findet eher abgekapselt davon statt. Die Grenze ist dabei natürlich nicht klar gesteckt und muss immer wieder neu abgetastet werden. Im Film ist das Ganze noch etwas einfacher (wenngleich natürlich auch nicht trennscharf), da man zwischen großen Hollywood-Studio-Produktionen, die von etlichen (finanziellen) Interessen von Studios, Produzenten, etc. durchzogen sind und zielgruppenbasiert kreiiert werden (und somit auch immer eine bestimmte gesellschaftliche Stimmung/Ideologie abbilden) und eigenbrötlerischen Autorenfilmen, die diesen Einflüssen weniger ausgesetzt sind, unterscheiden kann (natürlich gibt es auch Grenzgänger; Villeneuve, Tarantino, Scorsese, etc.). Nach innen gerichte Alben, wie die genannten, sind für mich eher musikalische Pendants zu Zweiteren.Monkeyson hat geschrieben: ↑Di 12. Nov 2019, 11:24Wenn du solche Alben nennst, dann untergräbst du aber deinen eigenen Anspruch nach Neuartigkeit, oder was verstehe ich falsch? Hat ein Grundsockel "zeitloser" Alben seine Daseinsberechtigung, so lange es nur ausreichend Neues drumherum gibt?slowdive hat geschrieben: ↑Di 12. Nov 2019, 09:30[...] die These aufgestellt, dass die Zeit von ca. 2003 bis heute [...] schon bald als die schlimmste seit den 1950ern angesehen wird. Er begründet dies eben auch damit, dass sich besonders in der Musik eine absolute Visionslosigkeit, die innerhalb der Gesellschaft anzutreffen ist, wiederspiegelt.
[...]
Dazu natürlich noch Alben, die in ihrer Musik (und ggfs. auch ihren Texten) zeitlose menschliche Emotionen berühren (Sufjan Stevens' "Carrie & Lowell", Joanna Newsoms "Have One on Me", Mount Eeries Alben, Sun Kil Moons "Benji", etc.) – quasi die musikalischen Gegenstücke zu Filmen wie dem wunderschönen "Call Me By Your Name".
Dann würden andere Hörer aber andere Beispiele für zeitlose menschliche Emotionen nennen, die von dir genannten Bands haben ja diesbezüglich kein Alleinstellungsmerkmal.
Wie gesagt, kein Qualitätsmerkmal. Janelle Monae oder Solange machen bessere Musik als die DIY-Band um die Ecke und Mission Impossible: Fallout ist sicher besser, als die meisten Indieproduktionen der letzten Jahre.
Nun schreibst du, dass "Hochkultur" (nicht dein Begriff, ich weiß) eher abgekapselt von "kommerzielleren, zeitgeistigeren und auch gesellschaftlichen Einflüssen und Debatten" stattfindet und daher "nach innen gerichteten Alben" von Künstlern, die "zeitlose menschliche Emotionen berühren (Sufjan Stevens' "Carrie & Lowell", Joanna Newsoms "Have One on Me", Mount Eeries Alben, Sun Kil Moons "Benji", etc.)", dieser Vorwurf nicht gemacht werden kann, wenn ich dich richtig verstehe?
Ich finde, du machst es dir damit zu einfach, gesellschaftliche Statements nur von der vermeintlichen Popkultur einzufordern. Wütende, die gesellschaftlichen Verhältnisse anprangernde Musik kam doch immer erst aus unpopulären Nischen, ist dann aber zu einem Zeitpunkt, wo die sperrigen Aussagen der Gründerväter (des Hiphop, des Punk, des Metal?) längst getätigt wurden, ohne deren Mitwirkung in den populären Kanon aufgenommen worden. Der Vorwurf wäre also höchstens allen danachfolgenden Generationen zu machen, aber mit welcher Rechtfertigung möchte man einem jungen Künstler verweigern, sich eher in der Hochkultur zu verorten, wo er/sie sich lieber apolitisch äußern möchte? Es hat sich ja niemand beim Amt für Genreeinstufungen zu melden, mit dem Ziel, herauszufinden, ob man nun eher der Pop- oder Hochkultur zuzurechnen sei.
Nun schreibst du, dass die Grenze ohnehin nicht trennscharf ist ggü zB dem Medium Film, wo das aufgrund des finanziellen Backgrounds schon einfacher einzuteilen ist. Aber auch dort verstehe ich deinen Appell nicht, warum gerade die Popkultur sich visionär äußern solle, die "eigenbrötlerischen Autorenfilme" sich jedoch auf den Standpunkt "zeitloser menschlicher Emotionen" ins Apolitische zurückziehen dürfen. Sind nicht gerade die finanziell unabhängigen Autoren, Regisseure und Produzenten gefordert, die gesellschaftlichen Missstände anzuprangern, ohne Beeinflussungen durch Geldgeber oder durch eine zu erwartende Publikumsmeinung befürchten zu müssen?
Musikalisch gesprochen: Kann man nicht gerade von Sufjan Stevens Visionärität und politische Positionierung einfordern, wo dies bei interessengeleiteten Marionetten irgendwelcher Majors schwer möglich ist?
Ich hingegen würde der gesamten Zunft hier gar keine Vorgaben machen. Wenn der aktuelle Querschnitt relativ apolitisch und unvisionär wirkt, dann sollte man sich eher Gedanken machen, ob sich der wahrgenommene Querschnitt aufgrund anderer Hörgewohnheiten / algorithmischer Einflüsse vielleicht verschoben hat (vgl hierzu den von fipsi verlinkten Artikel). Dass niemand mehr sperrige Musik mit einer Vision zu kreieren vermag, bezweifle ich einfach (vgl hierzu zB Blackstars Auflistung). Darüber, dass diese Subgruppe weniger wahrgenommen wird, sollten wir sprechen.