Kürzlich beendet:
The Lincoln Highway von Amor Towles
Nachdem mir sein Zweitling "A Gentleman in Moscow" gut gefallen hatte, griff ich nun bei seinem neuen Werk auch zu. Amor Towles hat ein Händchen dafür seinen Geschichten einen charmanten, beschwingt fröhlichen Ton zu verleihen. Bei dem Vorgänger steht dieser im Kontrast zu den düsteren historischen Verwicklungen der Sowjetunion, die um den Hauptcharakter herum passieren, wodurch diesem Ton eine gewisse Resilienz und Trotz innewohnt. Das politische und soziale Drama bleibt da aber fürs Meiste im Hintergrund.
Im Kontrast dazu hat "The Lincoln Highways" konkret düstere Passsagen, denen sich der Leser wegen des Tons recht unvermittelt gegenüber sieht.
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Das Ende ist dafür sicher das krasseste Beispiel.
Das überraschte mich, aber geht auf jeden Fall auf.
Der Roman erzählt die Geschichte von Emmet, der nach einem Aufenthalt in einer Besserungsanstalt für jugendliche Straftäter, mit seinem kleinen Bruder den Plan fasst, vom mittleren Westen nach Kalifornien zu fahren und dort nach ihrer Mutter zu suchen, die sie die Familie vor Jahren verlassen hat.
Dann tauchen auf ihrer Farm jedoch zwei Jungs auf, mit denen Emmet zusammen eingesperrt war: der eigene Wooly und der äußerst non-chalante, impulsive Duchess (da wir vor kurzem erst über "We begin at the End" gesprochen hatten, mit einer Protagonistin die ebenfalls Duchess heißt, brauchte ich ein paar Seiten, um zu schnallen, dass er ein Junge ist

Wobei ja eigentlich klar ist, dass solche Besserungsanstalten nicht unisex sind.). Sie haben sich rausgeschmuggelt und haben den völlig gegensätzlichen Plan nach New York zu fahren, da sie dort den Nachlass für Wooly, den seine reiche Familie für ihn bereithält, unter den Nagel reißen wollen. Durch eine Verkettung von Umständen sind die vier, nicht immer zusammen, schließlich nach New York unterwegs.
Das Buch ist meist aus Emmets und Duchess' Sicht geschrieben (bei Zweiterem als Ich-Erzähler, was sich durch seinen kernigen, flachsigen Ton sehr gut lesen lässt), aber immer wieder auch aus der Perspektive anderer Charaktere, sodass gerne dasselbe Ereignis aus verschiedenen Blickwinkel beleuchtet wird. Natürlich nimmt ihre Reise unfassbar viele Haken und Abzweigungen, wodurch das klassische Roadmovie-Feeling immer wieder erweitert wird. Ein großer Teil findet zum Beispiel auf einer Zugstrecke statt. Auch sonst nimmt die Geschichte eine Entwicklung, die man so am Anfang nicht zwingen erwarten würde.
Zusammengefasst lässt sich "The Lincoln Highway" richtig gut weglesen, mit toll ausgearbeiteten Charakteren, besagter überraschender, düsterer Tiefe und ein paar ganz schönen formellen Ideen. Amor Towles versucht sich auch an einige Referenzen an die ganz großen literarischen Werke wie die Oddysee und baut auch eine Brücke zu Shakespeare, da Duchess' Vater ein abgehalfterter Theaterschauspieler ist, die manchmal ein bisschen viel sind, angesichts der jungen Protagonisten, aber das ist schon okay.