Quadrophobia hat geschrieben: ↑So 8. Nov 2020, 14:04
Taksim hat geschrieben: ↑Fr 6. Nov 2020, 21:19
mattkru hat geschrieben: ↑Fr 6. Nov 2020, 16:35
Aus Sicht der religiösen Rechten stehen die Demokraten wohl auch für:
- LGBTIQ-Rechte
- Pro-Choice
- Toleranz für Minderheiten => andere Religionen
Das ist eine sehr verknappte Sichtweise und auch schon Teil des Problems. Es ist erst einmal nicht nur die religiöse Rechte, die sie für unwählbar hält, sondern auch viele im Zentrum, viele Liberale, viele Libertäre und dann auch viele im ganz linken Spektrum. Häufig aus verschiedenen Gründen, aber überall ist diese Ansicht vertreten.
Ein erstes Problem habe ich schon angesprochen, nämlich, dass viele Obama und damit auch seinem Vize Biden nicht verzeihen, dass die Verursacher der Finanzkrise so ungeschoren davonkamen. Im Gegenteil, nach seiner Präsidentschaft machte Obama viele gutbezahlte Auftritte bei Wallstreet-Bänkern. Andere Mitglieder des Parteiestablishment wie Hillary Clinton ebenso. Auch Biden steht in der Kritik gut mit der Klientel zu stehen, die vielen Amerikanern zweifelhafte Finanzpakete aufgeschwatzt haben und später ihr Haus einkassierten. Oben drauf kam dann die Rezession, die viele den Job gekostet hat.
Insgesamt verstärkte sich über die letzten Jahre der Eindruck, dass ein großer Teil der demokratischen Partei nicht viel für die hartarbeitende, aber von akademischen Diskursen recht unbeeindruckte Schicht übrig hat. Unvergessen Hillarys selbstzugefügter Todesstoß in der Kampagne als sie Trumpwähler als "Basket of Deplorables" bezeichnete. Solche Aussagen gepaart mit einer zunehmen Versteifung auf für viele Wähler abstrakte Diskurse um Identität, übernommen von den Unis, vermitteln den Eindruck, dass ihre Probleme nicht zählen. Dazu kommt die immer extremeren Ausprägungen dieser Diskurse, die ich ja auch schon an vielen Stellen in der jüngeren Vergangenheit moniert habe (wie in unserer Debatte um JK Rowling oder - wenn ich mich selber zitieren darf - generelle Auswüchse der Unis, die immer mehr auch in Medien und Konzernstrukturen um sich greifen:
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Taksim hat geschrieben: ↑Sa 3. Nov 2018, 11:53
Das ist eine interessante Gegenüberstellung und gerade bei Wirtschaftswissenschaften stimme ich dir absolut zu, dass da ebenso häufig Ideologie als objektiver Maßstab verkauft wird.
Der Grund, warum die Autoren dieser Studie und viele andere Denker und Akademiker im Moment auf die Problematik in den Geistes- und Sozialwissenschaften hinweisen, könnte sein, dass deren Ideologie im Moment Konsequenzen für den politischen Diskurs haben, die vielleicht unmittelbarer spür- und hörbar sind.
Zensur von Kunstwerken; orwellsche Neusprech-Begriffe bzgl. Klassifizierungen von Menschen; eine Identitätspolitk die sich super dazu eignet, neue Hierarchien zu schaffen (obwohl doch Hierarchien abgebaut werden sollen); Einschränkung der Redefreiheit; Ruf nach juristischer Verfolgung von vermeintlichen Verstößen gegen eine bestimmte Doktrin; Diffamierung politischer Gegner mit unhaltbaren Claims von Rassismus und Sexismus; Diffamierung ganzer Wissenschaftszweige wie Biologie und Psychologie wegen Erkenntnissen zur menschlichen Natur, die aber nicht zur eigenen Ideologie passen und so weiter und so fort, sind Entwicklungen, die möglicherweise, sobald die Studenten aus der Uni raus sind, auf andere Bereiche übergehen könnten (und es in einigen politischen und medialen Zirkeln schon tun).
Ich glaube, deshalb warnen viele, viele Akademiker auf der gesamten Breite des politischen Spektrums (gerade linke Gelehrte wie Bret und Eric Weinstein, Sam Harris, Steven Pinker) vor diesen Tendenzen.
)
Viele dieser Diskurse werden vordergründig aus den ja richtigen und häufig bestimmt auch aufrichtig gemeinten Motivationen geführt, die mattkru anführt. Aber sie werden dann eben häufig überdreht und/oder die überdrehtesten Beispiele generieren viel Aufmerksamkeit (genau wie auf der anderen Seite mit Trumpwählern auch), sodass sie ein sehr abschreckendes Beispiel abgeben. Z.B. wenn Gelehrte und Akademiker Weißsein im Allgemeinen brandmarken (was sich auch in Bestsellern wie "White Fragility" äußert) oder - für mich der absolute Gipfel - der demokratisch geführte Staat Kalifornien den Staatsverfassungsparagraphen, der Diskriminierung aufgrund von Rasse, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Religion verbietet, streichen will, da sie offen diskriminieren wollen. Nur eben zugunsten von Minderheiten.
Und genau davon fühlen sich interessanterweise immer mehr Angehörige dieser Minderheiten völlig bevormundet und tatsächlich diskriminiert. Es hat bei dieser Wahl für viel Furore gesorgt, dass nie ein republikanischer Kandidat so viele Stimmen von Afroamerikanern und Latinos geholt hat wie Trump, was für viele diametral konträr zum gängigen Narrativ steht. Aber diese Bevormundung (ähnlich wie Diskurse á la eine korrekte Rechtschreibung ist rassistisch gegenüber Afroamerikanern und gehört abgeschafft oder Bidens Spruch, dass ein Afroamerikaner, der nicht demokratisch wählt, nicht wirklich schwarz sei) plus ein Wiedererstarken eines Fokus auf Unterschiede zwischen gesellschaftlichen Gruppen und Hautfarbe statt eine Entwicklung im Sinne Martin Luther Kings, dass Hautfarbe bestenfalls keine Rolle mehr spielt, nervt zusehendes mehr und mehr der Betroffenen von Rassismus sowie sich zu Unrecht gegeißelt fühlende Menschen der weißen Mehrheit. Die Demokratische Partei pusht schon längst nicht mehr für "Equality" (Gleiche Chancen für alle) sondern "Equity" (gleiche Resultate für alle) mit dem Grundsatz, dass jegliche gesellschaftlichen Unterschiede Folge von Diskriminierung seien und deshalb ausgeglichen gehören. Schwarze Ladenbesitzer und lateinamerikansiche Unternehmer, die sich nach oben gearbeitet haben, genauso wie wirtschaftlich abgehängte Weiße hören sowas nicht gerne. Viele Unterschiede, die sich finden, sind natürlich darauf zurückzuführen, aber eben nicht alle.
Wenn die Demokraten und viele demokratische Gouverneure sich dann auch noch hinstellen und in den Vierteln der großen Städte wo viele dieser Ladenbesitzer und Unternehmer ihre Geschäfte haben und die jetzt im Zuge der Massenproteste auseinandergenommen wurden (worauf viele Proteste per se nicht abzielten, aber sah eben nicht gut aus), die Polizei dazu beordern, überhaupt nicht mehr einzugreifen, ist das für viele Wähler der letzte Tropfen im überlaufenden Fass.
Ich halte solche Interpretationen nach wie vor für völlig überzogen. Das Thema Indentitätspolitik spielt maximal eine Randrolle, es betrifft die meisten Menschen schlicht nicht.
Ich bin jetzt seit sieben Jahren im PoWi Studium, davon sechs mit Fokus auf Wahlforschung und schreibe dazu meine Masterarbeit. Ich kenne die wissenschaftliche Literatur ziemlich gut und kenne daher auch die Gründe ganz gut, warum wer wie wählt. Spoiler: Identitätsfragen im Sinne von IdPol Diskursen haben bisher keinerlei nachweisbaren Einfluss auf Makroebene, weder auf der Pro- noch auf der Kontra-Seite. Sie ist viel eher ausdruck ohnehin schon bestehender Differenzen und nicht wahlentscheidend. Die USA sind zwar nicht mein Fachgebiet, aber die Literatur von dort ist nach wie vor die relevanteste, weswegen ich auch damit ganz gut vertraut bin.
Es gibt im Grunde zwei Ansätze in der Wahlforschung: Individuelle und Gruppenbezogene Faktoren. Letztere sollte man aber nicht mit IdPol verwechseln, es geht da lediglich um Beeinflussung durch interpersonelle Kommunikation in sozialen Netzwerken. Beide haben wunderbare Erklärungen für Trump, was in den Diskursen aber selten gewürdigt sind, weil sie eben komplexe Antworten haben, die gleichzeitig relativ unspektakulär sind. Man wird diese Wahl noch analysieren müssen, sie ist aber eigentlich nicht untypisch, abgesehen von der Rekordbeteiligung.
Die Drei Faktoren, die
jede US-Wahl bestimmen sind: Wahl- und Regierungssystem, Parteiidentifikation und Ökonomische Situation. Das Präsidentielle Wahlsystem mit Mehrheitswahlrecht produziert eben eine zwei-Lager Dynamik, die alle Menschen auf eine der beiden Seiten sortiert. Das mag banal klingen, aber hat eben einen starken Effekt darauf, wie sich Menschen positionieren, weil die individuellen (und Gruppenbezogenen) Prioritäten nicht kombiniert und auf dem Parteieinspektrum verortet werden können, wie in Merhparteiensystemen, sondern hierarchisiert werden müssen. Da kommen dann eben die beiden anderen Faktoren ins Spiel. Wer immer Republikaner gewählt hat, wird das mit starker Wahrscheinlichkeit auch weiterhin tun, Trump und Biden hin oder her. Wer ökonomische Vorteile in der Politik einer der beiden sieht, wird diesen mit hoher Wahrscheinlichkeit Wählen. So abstrakte Diskurse wie IdPol spielen eine Nebenrolle.
Ich halte Biden sogar, auch wenn mir völlig klar ist, wo er politisch steht, für eine Außerordentlich erfolgreiche Kandidatur. Er hat gegen die immense strukturelle Übervorteilung der Repubikaner in dieser Wahl klar gewonnen und vor allem: Er hat in der höchsten Wahlbeteiligung der jüngeren Geschichte gewonnen, was eben ein klares Aufbruchszeichen ist. Er hat mit Harris eine Vizepräsidentin nominiert, die jetzt vermutlich erste Wahl für eine Post-Biden Demokratische Präsidentschaft wäre. Sie ist, ganz abseits von IdPol Diskursen, eine Kandidatin, die nicht zum typischen Demokratischen Establishment gehört, die anders als Biden, für eine deutlich progressivere Politik steht und dem linken Sway der Demokraten zusätzlichen Auftrieb verleihen könnte (auch wenn sie selbst natürlich keine Linke ist). Ich sehe keinerlei Anzeichen, die für deine These einer kaputten demokratischen Partei stehen. Die strukturelle Schieflage in den USA ist unbestritten, aber das ist kein Problem der Demokraten.
Dazu sind dann halt ein paar Annahmen, die du hier machst, so nicht richtig. Der Grund warum mehr Afroamerikaner*innen denn je Trump gewählt haben, ist die hohe Wahlbeteiligung. 90/10 für die Demokraten unter Afroamerikaner*innen ist nicht das beste Ergebnis, was ein republikanischer Präsident je einfahren konnte, Reagan 84, und Bush 92 hatten das gleiche Verhältnis, Bush 88 ,Dole 96 und Bush 2004 sogar ein besseres[1]. Die einzigen Ausreißer sind die Obama Terms. Diese Behauptung ist ein weit verbreiteter Mythos bei dieser Wahl.
Dass Latino-Ameriknaer*innen Trump vermehrt wählen würden, war auch vorher klar und hat mit Biden schlicht nichts zu tun. Zwei Kerngründe dafür sind: Wähler*innen mit Migrationsgeschichte wählen typischerweise entgegen der politischen Ausrichtung des Regimes im Herkunftsland, wenn sie aus einem autokratischen Staat kommen, insbesondere in erster Generation [2], was eine Entscheidende Rolle in Florida gespielt hat. Das Appeasement mit Kuba war für viele Kuba-Amerikaner*innen halt nicht wünschenswert. Andererseits sind viele Latino-Amerikaner in Texas tatsächlich aus ökonomischen Gründen zu Trump gewechselt (übrigens hauptsächlich aus der Nichtwahl kommend). Für sie ist eine harte Grenzpolitik schlicht ein Arbeitsmarktvorteil [3]
[1]
https://ropercenter.cornell.edu/how-groups-voted-1996
[2] vgl. bei Wüst, A. (2012) . Dauerhaft oder temporär? Zur Bedeutung des Migrationshintergrunds für Wahlbeteiligung und Parteiwahl bei der Bundestagswahl 2009 (für Deutschland)
[3] Hierzu zum Beispiel Philip Manow: Die Politische Ökonomie des Populismus
P.S: Ich weiß der Post ist schon recht alt, aber wie kommst du darauf, Sam Harris sei ein linker Intellektueller? Ich bin jetzt einfach mal etwas polemisch und behaupte er ist weder das eine, noch das andere
Kurz zu Sam Harris: Dass "Intellektueller" habe ich ihm durchaus mit einem Augenzwinkern abgesprochen. Will gar nicht bestreiten, dass er in gewisser Form einer ist. Aber er ist eben auch sehr... nun ja... performativ. Ich habe von ihm nur "The Moral Landscape" gelesen, aber das ist halt unterirdisch. Er widerspricht einer der Grundannahmen der Ethik (Ist/Soll Dichotomie) ohne dafür einen konkreten Grund zu nennen, beschäftigt sich nicht mit den relevanten Gegenpositionen (was in meinem Empfinden seine Wissenschaftlichkeit schwer beschädigt) und polemisiert gegen andere Perspektiven (nennt sie unter anderem "irrelevant" und "langweilig"). Dann startet er eine Art "Konsequenzialismus" nach der jede Moral nur eine Bewertung des Ergebnisses sein kann, dass für ihn möglichst großes "well-being" ist, ein Begriff den er größtenteils undefiniert lässt. Dieses Argument schließt an klassischen Utilitarismus an, ist aber weit weniger entwickelt und ausdifferenziert, weil es sich mit den Kernwidersprüchen dieser Position nicht auseinandersetzt (z.b. ob größeres Leid für einige gerechtfertigt ist, wenn es dem wohlergehen mehrer anderer hilft, oder ob wohlergehen sich gleichverteilen muss). An dieser Stelle ist er entweder ignorant gegenüber hunderter Jahre Philosophie oder tut so als hätte er in einem ideengeschichtlichen Vakuum etwas neues geschaffen.
Seine Kernthese, Moral könne als Wissenschaft betrieben werden, ist eine zzt. sehr verbreitete Form eines performativen Rationalismus, der sich post-ideologisch und wissenschaftlich gibt, aber eben auch diverse wissenschaftliche Grundprinzipien außer acht lässt (wie bspw. auch Jordan Peterson oder Stephen Hicks). Sich selbst zum neutralen, einzige wissenschaftlichen Standpunkt zu erklären ist in dieser Szene sehr en vogue. Dabei ist ja selbst sein Rationalismus fragwürdig, wenn man nur mal etwas tiefer in die eigentlichen Thesen der Aufklärung geht, oder sich Post-Enlightment Denker wie Nietzsche anschaut. Denn was Kant mit "Befreiung der Sebstverschuldeten Unmündigkeit" meinte war zwar durchaus die teilweise Überwindung der Religion, aber vor allem der Glauben an die Teleologie der Religion. Diese durch die Teleologie der Wissenschaft zu ersetzen war nicht das, was viele Aufklärer im Sinn hatten, was wiederum Nietzsche herausgestellt hat. Harris, der sich ja als ultra-rationalen Atheisten hinstellt, ist am ende weder besonders rational, noch besonders atheistisch.
Das ist auch der Grund warum ich ihn keinesfalls als Links einordnen würde. Dieser "Post-ideologische" Ansatz verdeckt strukturell-ideologischen Probleme und tut so, als gäbe es im Status Quo einen rationalen Middle Ground. Als Liberalen sehe ich ihn durchaus und seine Arbeit gegen Trump oder Shapiro will ich gar nicht herabwürdigen. Aber wer die Probleme dieser Zeit nicht durch ihre strukturellen Ursachen versteht, sondern sie auf Eindimensionalität herunterbrechen will ist nicht emazipativ. Wer die aktuelle Situation nicht als Konsequenz gewisser Ideologien verstehen will, versteht eben nur die Hälfte.
Zu den Demokraten: das kann man so sehen, ich will auch nicht behaupten, dass die Demokraten sonderlich toll wären. Was du aber anprangerst, nämlich dass sie Arbeiter*innen nicht (mehr) vertreten würden, ist zwar richtig, aber auch nicht die "Schuld" der Demokraten. Da kommen wieder zwei strukturelle Faktoren ist Spiel:
Erstens ist das Parteiensystem in den USA, anders als in Europa,entstanden, bevor es den Kapital/Arbeit Divide in der Gesellschaft gab. Daher ist auch die klassische Kampflinie in den USA Konservativ/Liberal, wie in allen Parteiensystemen prä-1900 (Sieht man u.a. an den skandinavischen liberalen, die noch "venstre" also "links" heißen). Durch das Mehrheitswahlrecht und das präsidentielle System hat es sich danach zu einem zwei-Parteiensystem entwickelt, weil die logische Konsequenz aus einem "Winner-Takes-All" Kampf um eine einzige zentrale Exekutivposition ist, dass man sich entlang des divides mit allen Kräften der eigenen Seite zusammenschließt. Die Demokraten waren deshalb rein strukturell nie eine Arbeiter*innenpartei.
Zweitens und etwas neuer. Es gibt einen Effekt, den man "Dilemma of Electoral Socialism nennt". Seit den 1980ern weicht Politik dem Markt im gesamten Westen zurück. Dadurch sehen insbesondere ärmere Menschen in der Politik keine wirkliche Vertretung mehr, weil kaum eine Partei noch radikale Umverteilung zu ihren Gunsten bevürwortet. Vormals linke Parteien (SPD, Labour, teilweise Demokraten) haben das mitbekommen und sich weiter nach rechts positioniert und sind im Grunde von der Arbeiter*innen zur Angestelltenpartei geworden. Diese Verschiebung hat oben genannten Effekt noch verstärkt.
Jetzt stehen die Parteien aber vor einem riesigen Problem: Wollen sie sich wieder weiter links positionieren, müssen sie die Wählerschaft nicht nur zurück zu sich selbst, sondern erst mal zurück in die Politik an sich holen. Das ist ein enormes Problem, weil Wahlabstinenz räumlich clustert. Gehst du also in ein Nichtwählerviertel und machst dort Wahlkampf, überzeugst du zwar vielleicht mehr Menschen von deiner Partei, aber weniger Leute insgesamt, als wenn du in ein Wählerviertel gehst. Gewählt werden diese "linken" Parteien also eigentlich nur von der oberen Arbeiter*innen klasse und der Mittelschicht. Arbeitslose, Menschen mit niedrigem Einkommen und formeller Bildung, wählen idR gar nicht und sind auch äußerst schwer zu mobilisieren. Wenn es aber keine Stimmen von diesen Menschen gibt, gibt es auch keinen rationalen Grund, sie inhaltlich zu repräsentieren. Es kommt also noch weniger zu Umverteilungspolitik und noch weniger Menschen nehmen noch an der Wahl teil.
Es ist unter diesen Umständen hochgradig schwierig und ressourcenintensiv Menschen für die eigene Partei zu mobilisieren. Eine Partein, deren Kernkompetenz noch nie die Arbeiter*innen waren, müsste also schon sehr sehr viele Menschen sicher mobilisiert wissen, um einen linksruck vertreten zu können. Denn dann greift wieder die strukturelle Komponente: Zu starkes Investment in die unteren Schichten, führt möglicherweise zum Wahlverlust, weil die oberen Schichten in großen Zahlen an der Wahl teilnehmen und sich bei stärkerer Redistribution für die Republikaner entscheiden könnten.
Edit: Für das Missverständnis mit den Minority Votes kann man niemandem einen Vorwurf machen. Die kolportierten Zahlen stammen aus Exit Polls, die dieses Jahr wegen der starken Schiefvertielung des in-person-votings zu Gunsten der Republikaner nicht repräsentativ waren. Es waren also generell mehr Republikaner-freundliche Menschen an den Polls, weswegen auch die Minorities die dort waren tendenziell stärker Republikaner gewählt haben, als das in der Gesamtbevölkerung tatsächlich der Fall ist.
In other News: Wie von vielen Seiten erwartet, ist in den letzten Tagen die türkische Wirtschaft völlig kollabiert. Die Lira steht 1 zu 10 zum Euro und sogar Erdoga-Schwiegersohn Berat Albayrak ist (musste) als Finanzminister zurücktreten, nachdem gestern schon der Zentralbankchef gefeuert wurde. Die Türkei hat durch die Geldpolitik der letzten Jahre nur noch minimale Reserven, insbesondere in Devisen. Wenn das noch ein halbes Jahr so weitergeht, sieht es nach einem Staatsbankrott aus.