Ich habe lang überlegt, ob ich überhaupt etwas zu
Bo Burnham: Inside (Netflix) schreiben soll, denn schließlich wurde zu dem Comedy-Special schon so ziemlich alles gesagt, was es zu sagen gibt. Deutschsprachige Meinungen zum Special hab ich bisher aber leider eher selten gesehen, daher kann es sicherlich nicht schaden, hier nochmal darauf hinzuweisen.
Zuerst an alle, die beim Wort "Comedy" gleich die Nase rümpfen: Das Genre hat einiges zu bieten, was man aufgrund deutschsprachiger Comedians nicht erwarten würde. Vergesst einfach alles, was ihr aufgrund von Mario Barth, Dieter Nuhr oder Bülent Ceylan erwarten würdet. Besonders auffällig ist in den letzten Jahren, dass immer mehr Comedy-Specials eine ernste Seite zeigen, wie z.B. Hannah Gadsby mit "Nanette" oder Patton Oswalt mit "Annihilation". Mit einer ähnlichen Erwartung sollte man auch an Inside herangehen, denn es erwartet einen definitiv kein reines Gute-Laune-Programm.
Bo Burnham hatte schon immer einen ziemlich eigenen Stil, der größtenteils auf Musik und Meta-Humor basiert. Älteres Material von ihm kann dabei durchaus ziemlich cringy sein, aber von Special zu Special merkt man deutliche Fortschritte. Das
Finale seines letzten Specials "Make Happy" ist einfach nur grandios und ein Hinweis darauf, in welche Richtung sich Bo Burnham weiter entwickeln würde. Mit Inside hat er jetzt aber ein völlig neues Level erreicht.
Nach seinem letzten Special hat Burnham seine Comedy-Karriere erstmal auf Eis gelegt, da er auf der Bühne von Panikattacken heimgesucht wurde. Für die Pandemie hat er sich dann aber das Ziel gesetzt, ein neues Special zu entwickeln. Das Besondere: Es gibt kein Publikum, stattdessen hat er kanpp ein Jahr lang in einer Hütte bei sich im Garten vollkommen selbstständig alles geschrieben, gedreht und geschnitten. Nach dem Special ist man einfach nur neidisch auf so viel Kreativität. In der Hinsicht könnte man ihn fast als sympathischen Fynn Kliemann bezeichnen
Ab jetzt wird es schwer, das Special weiter zu beschreiben, da Gags vorwegzunehmen vermutlich noch dämlicher ist als Plotdetails zu spoilen. Inhaltlich ist das Special eine sehr pointierte Momentaufnahme unserer modernen, digitalen Welt. Die erste Hälfte des Specials hat dabei aufwendige Gags zum Thema Instagram, Streaming oder Sexting zu bieten. Schon hier gibt es zwischen den einzelnen Bits immer wieder Einblicke in die Enstehungsgeschichte des Specials. Ob diese Einblicke real oder gestellt sind, sei dahingestellt. Man sieht aber einen Comedian, der zunehmend Probleme mit der Situation einer weltweiten Pandemie hat und keinen geeigneten Abschluss für sein Special finden kann.
In der zweiten Hälfte kippt die Stimmung dann deutlich. Es geht viel darum, dass man sich einfach nur beschissen fühlt. Ein Gefühl, dass wohl so ziemlich jeder innerhalb der letzten eineinhalb Jahre irgendwann mal so empfunden hat und es tut so gut, es hier so kreativ verpackt zu sehen. Einer der Höhepunkte ist in dieser Hinsicht der Song "That Funny Feeling", der den Zustand der Derealisation beschreibt, bei dem die normale Umwelt und auch die eigene Person plötzlich irreal erscheinen.
Der weitere Verlauf hat mich emotional so richtig abgeholt und mir des öfteren Tränen in die Augen getrieben. Klar, sicherlich sind nur wenige Leute in der gleichen Situation eines Comedians, der mit seinem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit zu kämpfen hat, aber der Kampf mit den Umständen der Corona-Pandemie ist so verdammt gut nachvollziehbar. So wechselt man im Minutentakt von lautem Lachen zum Kloß im Hals und dann wieder zur Ehrfurcht vor der Finesse, mit der Burnham das Internet in viereinhalb Minuten in einem Song zusammenfasst. Ich kann das Special wirklich jedem ans Herz legen, egal ob man bisher mit dem Genre zu tun hatte oder nicht, denn letztendlich hat Burnham hier etwas völlig Neues geschaffen, das es in der Form noch nicht gab. Inside ist nichts weniger als ein Meistertwerk. Es gab sicherlich einiges an Kunst, die während Corona entstanden ist und das auch thematisiert, aber Inside sagt in eineinhalb Stunden alles, was es zu sagen gibt.