Katie Herzog wäre da ein prominentes Beispiel, die tief in die Kehrseite von Transitionen eingestiegen ist und über Menschen geschrieben hat, die es massivst bereut haben.
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Artikel wie der und andere liefern zumindest für mich genug Belege, dass es ein existierendes Phänomen ist. Und nochmal, das zu thematisieren negiert in keinster Weise, dass Menschen, die es wirklich wollen, begleitet und unterstützt werden. Ich weiß nicht, ob dir das als "Beleg" reicht, aber bei JK Rowling haben sich auch zahlreiche Therapeuten gemeldet, die sich dazu genötigt fühlen, Transsexualität festzustellen anstatt genau zu untersuchen, ob sich ein junger Mensch vlt. zu einer homosexuellen Person entwickeln wird. Das mag anekdotisch sein, aber es existiert. Allein das wird häufig komplett geleugnet.
Kann dir zustimmen, dass es ein real existentes Phänomen ist. Das ganze wird jetzt sehr ausführlich, geht aber nicht anders.
Triggerwarnung: sexueller Missbrauch
Ich habe mich über die Thematik auch schon mit meiner Ärztin unterhalten, bei der ich meine Hormonersatztherapie begonnen habe. Sie ist Frauenärztin mit der Zusatzbezeichnung Sexualmedizin, betreut und behandelt eine hohe Zahl an Transpersonen und schreibt außerdem Gutachten für das Amtsgericht bei Namensänderungen. Kurz gesagt, sie kennt sich für eine cisgeschlechtliche Person ziemlich gut aus. Sie hat im Laufe ihres Berufslebens auch schon Patient*innen bzw. zu begutachtende Personen vor sich gehabt, die (Achtung, kritische Formulierung) von sich geglaubt haben, trans zu sein. Dabei gibt es völlig unterschiedliche Hintergründe: das können Personen sein, die in ihrer frühen Kindheit Opfer sexuellen Missbrauchs wurden und sich infolge dessen (unterbewusst) nach außen als besonders stark geben wollen und deshalb ein Leben als (trans-)Mann anstreben. Das alles ist psychologisch weitaus komplexer als ich das hier ausführen kann oder überhaupt vollends begreifen kann. Aber laut meiner Ärztin sind in den letzten Jahren immer mehr Personen bei ihr vorstellig geworden, die dahingehend eine grob ähnliche Biografie vorweisen. Für diese Personen ist eine Transition und HRT logischerweise nicht der richtige Weg.
Es kommt auch vor, dass Personen zu Therapeuten/Ärzten oder gar Selbsthilfegruppen gehen, damit andere Personen oder Ärzte ihnen die Frage beantworten, ob sie denn nun eigentlich trans sind oder nicht. Ich rede jetzt nicht "das habe ich da bei JKR oder sonst wo im Internet gelesen", sondern von Dingen, die ich in meinem persönlichen Umfeld erlebt und mitbekommen habe. Es gibt also durchaus Personen, eine Transition begonnen und abgebrochen haben (in beide Richtungen). Daher kann ich im Prinzip auch nachvollziehen, warum einige bei der Reform des TSG (Transsexuellengesetz) eine gewisse Form von Kontrolle/Sicherheit der Diagnose als Voraussetzung für eine Namensänderung fordern. Es ist aber einfach auch eine extrem komplizierte Angelegenheit. Ich selbst habe auch etwa 25 Jahre benötigt, um mir darüber bewusst zu werden und mir einzugestehen, dass ich trans bin. Das war ein wahnsinnig langer und schwieriger Prozess der Selbstfindung und Selbsterkenntnis. Für die Namensänderung habe ich mich auch knapp 3h mit einer (mir völlig fremden) Gutachterin über intimste Details meiner Biografie unterhalten. Und selbst wenn wir uns 3 Tage lang unterhalten hätte, hätte sie nicht mit 100%iger Sicherheit bestimmen können, ob ich trans bin. Am Ende ist es dann doch nur die Person selbst, die diese Frage für sich beantworten muss.
Ich kann auch lediglich die Situation in Deutschland bewerten, weil das Prozedere einer Transition mit Ärzten und Behörden in jedem Land extrem unterschiedlich ist. Bei den Storys von JKR und den Therapeuten, die sich bei ihr gemeldet haben, werden rechtliche Bedingungen unterschiedlichster Länder durchmischt.
Für Deutschland trifft das von JKR beschriebene Horrorszenario, dass Ärzte leichtfertig Hormone verschreiben würden und voreilig entsprechende Diagnosen ausstellen, nach meinem Empfinden nun mal überhaupt nicht zu. Eher im Gegenteil. Habe es oft genug miterlebt, dass es Betroffenen enorm schwer gemacht wird, bis sie überhaupt mal Termine bei Therapeuten bekommen und bis sie dann letztendlich die Indikation ausgestellt bekommen. Im Anschluss folgt noch Arztsuche und Terminfindung bei behandelnden Endokrinologen oder anderen Fachärzten. Von der Tortur der Namensänderung will ich gar nicht erst anfangen.
Hand in Hand gehen damit Bestrebungen, Hormontherapie früher und früher zuzulassen ohne genau zu wissen, wie sich das auf die menschliche Biologie in der Entwicklung auswirkt. Das halte ich für nicht verantwortbar. Erneut, keine Sichtweise, die momentan in der Mainstream-Diskussion Platz findet.
Das ist ein sehr großer Konflikt und eine Frage, auf die ich selbst auch keine richtige Antwort parat habe. Auf der einen Seite steht: je früher man eine Hormonbehandlung beginnt (zunächst mit Hormonblockern zur Verhinderung der biologischen Pubertät und später eben mit entsprechenden Gegenhormonen), umso "besser ist das Resultat". Das heißt konkret beispielsweise, wenn einem gar nicht erst ein Bart wächst, hat man nicht das große Problem, ihn wieder los zu werden. Im späteren Leben ist es zudem ein massiver Vorteil, wenn man nicht ständig als Transperson enttarnt wird, weil man aufgrund des Aussehens nicht stealth leben kann.
Auf der anderen Seite eben das von dir angesprochene Problem, dass die Auswirkungen auf die langfristige Gesundheit dabei sehr schwer abzusehen sind. Und eben die Unsicherheit, wenn Kinder sich mit 10 Jahren als trans outen, es aber dann wirklich "nur eine Phase war" - denn auch wenn "es ist doch nur eine Phase" ein wahnsinnig ätzendes und nerviges Klischee aller LGBTQ+ Personen ist, ist auch so etwas existent, wenn auch selten (Beispiel kann ich auf Wunsch gerne noch erläutern).
Quadrophobia hat geschrieben: ↑Mi 8. Jul 2020, 22:16
Das Argument von Übergriffen durch Cis-Männer, die sich als Trans tarnen, ist hypothetisch natürlich valide, aber auch das wird von ihr stilisiert, ala würde selbstverständlich aus der rechtlichen Anerkennung von Transpersonen folgen. Ob diese Möglichkeit besteht, hängt wiederum direkt von der entsprechenden rechtlichen Handhabung ab, zu der ich mich ja oben schon positioniert habe. Auch ist das Problem ja nicht, dass Cis-Männer sich jetzt als Trans tarnen können, um zu vergewaltigen, sondern dass Cis-Männer vergewaltigen. Natürlich sollten keine Schutzräume für Frauen geschwächt werden, aber diesea Argument bewegt sich für mich viel zu weit im Konjunktiv.
Ich würde nicht mal sagen, dass sie sich "tarnen" oder bewusst einen Plan aushecken. Oder zumindest muss man davon nicht ausgehen. Erneut mögen da meine Kenntnisse anekdotisch sein, aber Geschichten dass Frauen in besagten Gefängnissen, auf Toiletten oder auch in politischen Organisationen* bedrängt werden gibt es zu viele, als das man das ignorieren kann. Um Gleichberechtigung von Transpersonen zu gewährleisten passiert das aber und das halte ich eben nicht für notwendig.
Ich kann wenig darüber sagen, wie häufig Vorfälle dieser Art sind, ich kann nur von meinen Erfahrungen berichten. Für mich sind öffentliche Toiletten oder Duschen (Stichwort Festival) oder sonstige Einrichtungen, in denen nach Männlein und Weiblein getrennt wird, seit Jahren extrem anstrengend und belastend. Ich bemühe mich stets, in der Öffentlichkeit so weiblich/feminin wie möglich auszusehen, damit möglichst nicht rauskommt, dass ich trans bin (oder in Augen von unwissenden Außenstehenden "in Wirklichkeit ein Mann"). Auf Toiletten fühle ich mich immer wieder so halb beobachtet und so halb, als würde ich hier heimlich etwas verbotenes tun. Selbst hier in Deutschland. Bevor ich begonnen habe, an meiner Stimme zu arbeiten, habe ich auf Toiletten nach Möglichkeit gar nicht zu sprechen, damit ich nicht "auffliege". Das ist im Alltag mental wahnsinnig anstrengend. Von der Panik, die ich davor hatte, letztes Jahr beim Flughafen in Dubai während des Umsteigens auf Toilette zu müssen, will ich gar nicht erst anfangen. Das ist meine Lebensrealität, die zum Glück mit zunehmender Wirkung der Hormone (und spätestens nach der OP) nach und nach besser wird. So wie mir geht es auch anderen Transfrauen, mit denen ich gesprochen habe. Und dann liest und hört man von TERFs, dass Transfrauen nur darauf aus seien, Frauen in sanitären Einrichtungen zu belästigen oder gar zu vergewaltigen. Da fällt es mir schwer, meinen Puls ruhig zu halten. Sehe es wie Quadro, dass sich dieses Problem viel zu sehr im Konjunktiv bewegt, da meine Lebensrealität und die aller Trans-Personen, die ich kenne, eine völlig andere ist. Wir möchten einfach nur auf Toiletten gehen, ohne dass es in Streit und Handgreiflichkeiten mit Reinigungspersonal oder anderen Besuchern endet.