Suitemeister hat geschrieben: ↑Do 2. Jul 2020, 11:37
Stebbie hat geschrieben: ↑Mi 1. Jul 2020, 17:50
Ich finde es schade, dass eine an sich interessante (wie aktuelle Debatte) dann immer wieder so schnell verlassen wird, wenn sie versucht die Komplexität dieser Welt abzubilden - eine Komplexität,
in der es eben ein legitimes politisches Mittel ist, ein ganzes Polizeigebäude abzufackeln. Von daher bin ich immer noch gespannt auf eine Antwort, wo genau es dann (vll. am Beispiel meines Posts) "zu akademisch" wurde - ehrlich, ich bin da ganz offen.
Finde ich immer noch daneben.
Ich kann mich nicht auf der einen Seite über steigende Gewalt gegen Einsatzkräfte echauffieren und andererseits das Abfackeln von Polizeigebäuden legitimieren...
Bzgl. der Debattenkultur:
Ja, es hat hier schon Debatten gegeben, die wesentlich(!) akademischer abgelaufen sind. Das ist dann der Grund für mich, mich meistens aus so etwas herauszuhalten.
Für mich waren der Aufhänger die Begriffe der "subjektiven und strukturellen Gewalt".
Mal aufs Einfachste heruntergebrochen:
Robin schreibt: subjektive Gewalt
Was ich verstehe: vage formulierter random Powi-Grundstudiums-Fachbegriff, k bye
Wenn sich jemand von dem "Circle Jerk"-Vorwurf auf den Schlips getreten gefühlt hat, dann nehme ich das hier ausdrücklich zurück. Das war nicht meine Intention und der Hitze der Diskussion geschuldet.
Ich find's im Gegenteil ja sogar gut, wenn hier dann Leute mitschreiben, die Sachverhalte auch aus wissenschaftlicher Sicht einordnen können. Ich fänd's halt schön, wenn das künftig etwas populärwissenschaftlicher ablaufen würde und damit weniger exklusiv wäre. Einige Reaktionen auf diesen Vorwurf haben ja gezeigt, dass ich nicht ganz alleine mit diesem Eindruck bin.
Ich möchte in dem Zusammenhang nochmal auf Karos ersten Beitrag hinweisen. Sie hat das m.E. sehr gut zusammengefasst.
Den Begriff hab ich nicht verwendet, sondern Gerrit/Slowdive. Das ist auch (im Gegensatz zu Struktureller Gewalt) kein SoWi Fachbegriff und ist wörtlich zu verstehen. Die Gewalt, die eine Person anwendet. Ich kann aber verstehen, dass das hier als Begriffspaar akademisiert klang.
Strukturelle Gewalt dagegen ist in der Tat ein SoWi Begriff, den ich aber auch außerhalb von Unis sehr wichtig finde und den ich wohl einfach hätte erklären sollen.
Off-topic
Um hier mal kurz meinen Gedankengang aufzuzeigen: Ich habe häufig den Eindruck elitär und arrogant zu wirken, wenn ich Begriffe direkt erkläre, weil ich den Eindruck erwecke anderen Disskussionsteilnehmer*innen das Verständnis nicht zutrauen würde und warte deshalb auf Nachfragen
Strukturelle Gewalt bedeutet grob gesagt, dass jeder Mensch Gewalt ausgesetzt ist, durch die Ausprägungen einer bestimmten Struktur (bspw. der Polizei) aber in deutlich unterschiedlicher Stärke.
Ein typisches Beispiel ist eben das Racial Profiling der Polizei. Weil Schwarze Menschen in weiten Teilen der Gesellschaft als "kriminell" gelten, werden sie häufiger von der Polizei verdächtigt, ein Verbrechen begangen zu haben, öfter kontrolliert und weisen damit in den offiziellen Verbrechensstatistiken einen höheren Anteil auf, was die Polizei wiederum verleitet, diese Kontrollen gerechtfertigt zu finden. dazu kommt noch, dass Schwarze Menschen durch Diskriminierung in der Schule, am Arbeitsplatz, auf dem Wohnungsmarkt, oder durch Arbeitsbeschränkungen viel häufiger von existenzieller Armut bedroht sind und "Kriminalität" die einzige Möglichkeit der Lebenshaltung ist. Dass "99% der Drogendealer Schwarze sind"[1] liegt ja in erster Linie daran, dass Menschen aus afrikanischen Ländern in Deutschland seit Jahrzehnten Bleibe- und Arbeitsperspektiven verwehrt bleiben und Drogenhandel eine der wenigen Möglichkeiten ist, sich über Wasser zu halten.
Dass Schwarze Menschen als "kirmineller" gelten, liegt also erstens an struktureller Diskriminierung, zweitens an Polizeipraktiken und drittens an der unhinterfragten Wiederholung dieser Verhältnisse. Diese Art von Diskriminierung ist Gewalt, weil sie Menschen unterdrückt und sie in ungewollte und unverschuldete Verhältnisse zwängt. Diese Gewalt ist aber weitestgehend unsichtbar für die meisten von uns [weißen/deutschen], weil wir sie nicht selbst erfahren. Wir
sehen nur die Gegengewalt, also bspw. die Ausschreitungen in den USA.
Wenn jetzt die Verhältnisse aber noch problematischer als in Deutschland sind und, wie in den USA, Schwarze Menschen regelmäßig durch diese Strukturen zu Tode kommen, muss man diese strukturelle Gewalt zumindest als Ursache für die eskalierende physische Gewalt anerkennen. Jahrzehnte gewaltloser Proteste haben die Situation eben nicht nachhaltig verbessert, gewalttätige, rassistische Strukturen, wie die Polizei oder das Gefängnissystem bestehen unverändert. Für Schwarze Menschen sind diese Strukturen lebensbedrohlich. Deshalb muss ich es zwar nicht fantastisch finden, ein Polizeigebäude abzubrennen, verstehen kann ich es aber durchaus.
[1] Zitat von irgendeinem Polizei-Chef oder so