Bin da auch eher bei Stebbie, dass systemischer Wandel (in einer Demokratie) auch zu einem gewissen Maß individuelle Verhaltensänderungen voraussetzt. Viele der nötigen Maßnahmen (ich würde allen Maßnahmen auf Quadrophobias Liste zustimmen) kommen eben nicht nur wegen wirtschaftlicher Interessen nur schwerfällig zustande, sondern auch weil ihre Einführung aus Sicht politischer Akzeptanz / Weigerung traditioneller Sichtweisen für Veränderungen politisch riskant sind. Stebbie hat ja bereits das Beispiel mit den Subventionen genannt. Im Grunde lässt sich das in gewissen Maße aber über fast alle der Punkte sagen:
Quadrophobia hat geschrieben: ↑Mi 19. Okt 2022, 17:36
EU-Ebene: Streichung der Subventionen für Industrielle Tierhaltung.
Bundesebene Abbau von Fossilsubventionen, bspw. Dieselprivileg, Kerosinsteuerfreiheit, Tonnagesteuer, oder der Ausgestaltung der Pendlerpauschale.
Tempolimit (noch immer Peak Deutschland, dass es keins gibt, es ist so wild)
Einstellung sinnloser Autobahnenneubauten (hier im Norden die A26 und A20 Küstenstrecke), dafür Wiederinbetriebnahme stillgelegter Bahnstrecken.
Reform des Verkehrsrecht, um Kommunen zu ermöglichen, die völlig überdimensionierte Autoinfrstruktur ihrer Städte Zurückzubauen und Tempolimits umzusetzen.
Auf Landesebene: Abbau der unsinnigen Hürden bei erneuerbaren Energien, bspw. Abstandsregelungen zu Wohngebieten für Windräder.
Streichung der Subventionen für sinnlose Mini Flughäfen, die eh nur Defizite erwirtschaften.
Auf kommunaler Ebene könnte man gigantische Mengen CO2 einsparen, wenn man aufhören würde, auf Bauplänen Einfamilienhäuser auszuweisen. Mehrfamiliernhäuser haben eine viel höhere Energieeffizienz, versiegeln im Verhältnis zur Bewohner:innenzahl viel weniger Fläche und ermöglichen den wirtschaftlichen Betrieb von ÖPNV vs. Einfamilienhausbebauung.
Generell sollten Baugenehmigungen keine exzessive Flächenverschwendung mehr zulassen. Luxuslofts etc. braucht auch niemand.
Dazu kommt dann, vorausgesetzt das Verkehrsrecht wurde entsprechend abgeändert, der umbau der Verkehrsinfrastruktur, sodass Autos nicht überall massenweise öffentlichen Raum geschenkt bekommen.
Ernährung, Autos, Windkraft, Einfamilienhäuser, regionaler Flughafen - da prallt politischer Fortschrittswille halt auch all zu oft mit extremer Ablehnung aufgrund bestimmter, traditioneller Auffassungen (durchaus aus unterschiedlichen politischen Lagern) zusammen. Dass da umgekehrt das eigene Verhalten eine gewissen Bereitschaft für politische Veränderungen befördert, halte ich zumindest für plausibel (bin aber kein Sozialwissenschaftler, der das jetzt beweisen könnte...).
Dass es natürlich Unsinn ist, wenn eigenes angebliches (Fehl-)Verhalten von Aktivisten von Konservativen als Begründung genutzt wird, um (die definitiv notwendige) systemische Kritik zu de-legitimieren, sollte klar sein.
Tambourine-Man hat geschrieben: ↑Do 20. Okt 2022, 09:30
Quadrophobia hat geschrieben: ↑Mi 19. Okt 2022, 16:42
Es ist glaub ich inzwischen bekannt, dass nur etwa 100 Firmen für rund 3/4 aller weltweiten Emissionen verantwortlich sind. Nur ein absoluter Bruchteil davon landet in Waren oder Dienstleistungen, die irgendwie durch Kaufverhalten von Endverbraucher:innen beeinflusst werden könnten.
Naja, so ganz kann ich den Punkt nicht nachvollziehen. Ich habe mir natürlich noch nie ein Barrel Rohöl gekauft, aber es steckt in sämtlichen (Vor)Produkten irgendwie mit drin, Energie wird für alles gebraucht und deren Preis treibt die aktuellen Preise.
This! Diese Rechnung hängt extrem stark davon ab, was in sie einbezogen wird. Landnutzungsemissionen scheinen z.B. schonmal nicht dabei zu sein. Zudem der Zusammenwurf von Produktion und Konsum. Mal ganz abgesehen davon, dass fast die Hälfte der 100 Firmen in irgendeiner Form staatlich sind. Siehe
hier.
Rieper hat geschrieben: ↑Mi 19. Okt 2022, 17:09
Zudem macht Fliegerei auch nur einen kleinen Anteil von den weltweiten Emissionen aus.
Ja, es sind "nur" rund 3%, aber das ist immerhin so viel wie Japan. Und im Vergleich zu anderen Sektoren steigen die Emissionen eben
relativ konstant, von den Auswirkungen von Kondensstreifen mal ganz abgesehen.
Declan_de_Barra hat geschrieben: ↑Do 20. Okt 2022, 10:25
Im Endeffekt ist es nunmal zu spät. Die letzten Nachrichten legen ja nahe, dass es sogar weitaus später ist, als angenommen. Alles was man machen kann ist das Ganze einzudämmen.
Es ist spät, aber am Ende ist es halt auch nicht so, dass die Welt beim Reißen von 1.5 oder 2°C untergeht, sondern dass es auf jedes Zehntelgrad ankommt. Dass das primär über politische Veränderungen erreicht werden muss, da stimme ich zu. Aber siehe oben, ist dafür auch gesellschaftliche Zustimmung nötig (zumindest in demokratischen Staaten, in China & Co. sicher zu einem geringeren Ausmaß).
Und da stimme ich auch dem Artikel zu. Politische Aktionen, die gesellschaftliche Gruppen gegeneinander ausspielen, bringen uns nicht wirklich weiter. Auf der anderen Seite finde ich es aber auch zu einfach, den AktivistInnen zu unterstellen, dass es ihnen primär, um ihre Selbstdarstellung geht. Dass man mit derartigen Aktionen mediale Aufmerksamkeit auf das Thema lenkt und Debatten erzeugt, finde ich schon in gewissem Maße ein valides Argument. Auch den Reflex privilegiertere AktivistInnen ihre Privilegien vorzuhalten, finde ich aus linker Sicht seltsam. Ihre Forderungen sind doch gerade ein systemischer Wandel, warum sollte das aus dem Mund einer privilegierten Person weniger wert sein?
Auch da bin ich bei Stebbie: Linke Bewegungen müssen bei langfristigen Prozessen wie Klimaschutz lernen mehr die Übereinstimmungen zu sehen, anstatt sich in internen Richtungskämpfen zu verlieren. Oder um es mit Ken Caldeira zu
sagen: "Politically, I think of ourselves as each pulling on a rope connected to a mass, trying to move it in our preferred direction. I try not to publicly criticize people who are pulling within 90 degrees of my direction because they have a vector component that is helping my effort."