Das neue
Migos-Album "Culture II" lässt mich etwas ratlos zurück. Meine Erwartungen waren sehr hoch, schließlich hat das Trio auf dem Vorgänger "Culture" eine Platte abgeliefert, auf der sich ein Hit an den nächsten reiht und abgesehen von dem überflüssigen DJ Khaled-Feature auch keine Ausfälle zu verzeichnen waren.
Das Hauptproblem der neuen Platte: Sie ist zu lang. Viel zu lang. Konnte der Vorgänger noch mit 13 Tracks und einer Laufzeit von einer knappen Stunde glänzen, müssen es nach dem Motto "höher, schneller, weiter" jetzt 24 Tracks sein, was bei Tracklängen von meist über 4 Minuten zu einer Gesamtlaufzeit von 106 (!) Minuten führt. Wer bitte hat denn die Motivation, sich 1,75 Stunden lang am Stück Trap zu geben, ein Genre, das auch nicht gerade für seine Innovationsbereitschaft bekannt ist?
Ein Trend zu überlangen Alben ist leider erkennbar: Drakes "More Life"-Playlist kam auf 81 Minuten, der Quality Control-Label-Sampler auf 102 Minuten, das letzte Chris Brown-Album inkl. Bonus-Tracks sogar auf 158 Minuten. Der Grund liegt auf der Hand: Die Zukunft gehört den Streaming-Diensten und mehr Songs bedeuten mehr Einnahmen. Gerade im Hip-Hop hat sich im letzten Jahrzehnt auch der Trend etabliert, dass Album-Leftovers einfach in Mixtape-Form auf Soundcloud, Datpiff usw. rausgehauen wurden und Fans dort Cherrypicking betreiben konnten. Aber auch, wenn es für mich finanziell keinen wirklichen Unterschied macht, ob ich mir ein Album auf Spotify streame oder ein Mixtape auf Datpiff downloade, erwarte ich bei dem Album-Medium schon eine gewisse durchgehende Qualität, während ich bei Mixtapes Ausfälle eher verschmerzen kann.
Wirkliche Ausfälle sind auf "Culture II" eher nicht zu verzeichnen, dafür läuft die Maschinerie aus hochklassigen Trap-Produktionen und dem bewährten Migos-Konzept aus Triplet-Flows und Ad-Libs einfach viel zu gut. Viele Tracks sind schlicht und einfach komplett überflüssig.
Schuld daran ist wohl auch der Migos-Overkill, der vor allem das letzte 2017-Quartal definierte: Ende Oktober kam die Offset/21 Savage/Metro-Boomin-Kollabo-Platte "Without Warning", Anfang Dezember folgte der Quality-Control-Sampler (22 der 30 Songs mit Migos-Beteiligung) und Mitte Dezember dann die Quavo/Travis Scott-Kollabo "Huncho Jack, Jack Huncho". Zusammen mit der bereits im Januar veröffentlichten "Culture"-Platte sowie unzähligen über das Jahr verteilten Features kann man schon von einer gewissen Übersättigung reden.
Die besten Songs von "Culture II" sind dann auch die, in denen das bewährte Konzept etwas aufgeweicht wird und neue Einflüsse zugelassen werden (
Narcos,
Too Playa (feat. 2 Chainz),
Notice Me (feat. Post Malone)) oder die Gast-Features für etwas Abwechslung sorgen (Cardi B und Nicki Minaj auf
MotorSport; Drake-Feature dagegen enttäuschend). DER Hit der Platte ist auf jeden Fall
Stir Fry, der ausgestattet mit einem wunderschönen Pharrell-Beat auch gut auf das letzte N*E*R*D-Album gepasst hätte und als einziger Song mit den großen Hits der letzten Platte mithalten kann. Ansonsten wäre noch zu erwähnen, dass besonders Takeoff durchweg gute Parts abliefert und es wirklich sehr schade ist, wie stark er im Vergleich zu Offset und Quavo in den Hintergrund gedrängt wird und meistens nur für die 3. Strophe hinhalten muss, während Quavo, der so gut wie jede Hook rappt, häufig auf Autopilot agiert.
Soweit mal mein Eindruck nach den ersten 2 (!) Hördurchgängen, die ja immerhin auch schon 3,5 Stunden in Anspruch genommen haben. Die nächsten Durchläufe werde ich auf jeden Fall in kleinere "Portionen" dosieren.
