Ich war gestern bei
Wolf Alice in der Kantine in Köln und es war vermutlich das (abseits von Festivals) schlimmste Konzert-Erlebnis überhaupt für mich. Schuld daran hatten allerdings nicht die Band oder das Publikum, sondern hauptsächlich die Deutsche Bahn (und etwas persönliches Pech). Eigentlich wollte ich mich hier nicht mehr über die Bahn auslassen. Es ist der immer gleiche Treppenwitz, der irgendwann einfach nur noch ermüdend ist. Da es hier zur gesamten Experience mit dazu gehört, führe ich die Odyssee dennoch aus. Hoffentlich ist es das letzte Mal. Hat mich alles ein wenig an Sammys Bericht zu Sigur Rós vor zwei Wochen erinnert. Es war wohl einfach nicht mein Tag.
Normalerweise ist die Bahn keine relevante Option bei Köln-Konzerten für mich, da bei Spontanbuchungen meist utopische Preise aufgerufen werden. Längerfristig wollte ich nichts buchen, da das Konzert ausverkauft war und ich mir erst letzte Woche noch ein Ticket auf dem Zweitmarkt organisieren konnte. Diesmal war es mit 28 € erstaunlich günstig, mit Upgrade auf den Sparpreis zur ÖPNV-Nutzung innerhalb Kölns war ich bei knapp 39 €. Optimal sind die Verbindungen nie, vor allem nächtliche Rückfahrten ziehen sich ewig, weil die ICE-Taktung massiv heruntergefahren wird.
Ging dann direkt gut los. ICE von Wiesbaden nach Köln ist ausgefallen (gab natürlich seitens der Bahn keine Benachrichtigung darüber, in der App wurde die Buchung auch noch fröhlich weiter angezeigt). Also gings erst mal mit der (verspäteten) S-Bahn zum Frankfurter Flughafen, um dort auf den nächsten ICE zu warten, der dann 30 Minuten zu spät losfuhr und über eine Stunde zu spät ankam. Ich war maximal genervt und war schon nach dem ersten Zugausfall kurz davor, wieder umzukehren und das Auto zu nehmen (würde die Bahn eine Vollerstattung bei Zugausfall anbieten, wäre das für mich ein No-Brainer gewesen). Man stellt sich Zugfahren immer so entspannt vor und malt sich aus, was man alles in der Zeit machen kann, während sich andere im Auto durch die Rush Hour quälen. Mit Entspannung hat das letztendlich aber nichts zu tun. Hauptsächlich aktualisiert man hektisch die App und sucht nach sinnvollen Alternativen, um die nächste vorprogrammierte Verspätung zu umgehen.
Mit eine verspäteten Ankunft in Köln von 2 1/4 Stunden (Vorband war an der Stelle schon gedanklich abgeschrieben) schien mit den U-Bahnen zunächst alles gut zu laufen, bis eine Station vor meiner gewünschten Haltestelle die Fahrt auf einmal zu Ende war. Um die 20 Gehminuten zu verkürzen, wollte ich mir einen E-Scooter nehmen und entspannt zur Location fahren. Stellte sich jedoch heraus, dass diese in einem sog. eingeschränkten Bereich liegt, wo man den Scooter (zumindest von diesem Anbieter, habe auch einige andere gesehen) nicht abstellen darf. Ist mir natürlich auch erst direkt vor der Location aufgefallen. Zudem hatte die App einen Bug, sodass mir gar nicht angezeigt wurde, wo denn dieser eingeschränkte Bereich überhaupt endet. Also bin ich Stück für Stück wieder zurückgefahren, habe angehalten, das Handy rausgeholt und überprüft, ob ich den Scooter hier parken kann. Irgendwann hat sich die App aktualisiert, die eingeschränkten Bereiche wurden angezeigt und ich sah, dass ich mit dem Scooter im Prinzip wieder fast zum Startpunkt zurückfahren und die Strecke komplett laufen muss.
5 Minuten vor Beginn der Show kam ich an der Kantine an, mein Essen für die Heimfahrt wurde mir erst mal abgenommen (hatte vorher extra die Homepage deswegen gecheckt), aber dankenswerterweise von einem Security-Mann an der Seite verstaut. An der Garderobe fiel mir auf, dass ich nur noch 10 € dabei habe und die komplette Location nur Bargeld annimmt. Damit ich mir drin noch ein Getränk leisten kann (hatte ziemlich Durst, weil ich vorher z. T. joggen musste), habe ich nur meine Jacke abgegeben und meinen Turnbeutel anbehalten. Drin angekommen waren
Wolf Alice bereits beim ersten Song
"Smile", ich gab mein letztes Geld für ein Bier aus und blieb dort erst mal stehen. Das Konzert war wie gesagt ausverkauft und die Location damit komplett voll. Der einzige verbliebene Platz war also direkt im Durchgangsbereich zur Bar und auch hier war es extrem eng, sodass mir regelmäßig mein Turnbeutel halb abgerissen wurde. Taktisch zu
"Formidable Cool" vom von mir nur wenig geschätzten zweiten Album ging es dann erst mal zur Toilette, die natürlich vorne rechts neben der Bühne maximal ungünstig platziert war. Es war ein einziges Gequetsche. Offiziell sollte ein schmaler Gang als Rettungsgasse freibleiben, was nur so mittelprächtig funktioniert hat, was man leider später live miterleben konnte, als das Rettungsteam tatsächlich mal durch die Menge musste (ich hoffe, es geht allen Beteiligten gut). Auf der Toilette dann erst mal ein neues Shirt angezogen, weil mein altes vom Joggen schon verschwitzt war. Zurück an meinem Platz ist mir dann aufgefallen, dass ich mein Bier, von dem ich erst 2 Schlucke getrunken hatte, auf dem WC vergessen hatte (als ich später nochmal zurück bin, war es natürlich schon weg). Aber jetzt hieß es erst mal: Konzert genießen.
Machen wir es kurz: Es war für mich einfach nicht möglich. Ich war mit den Gedanken halb bei stressigen Anfahrt und halb bei der anstehenden stressigen Rückfahrt beschäftigt, musste mir noch überlegen, wie ich mein Handy lade (hatte mein Ladegerät daheim vergessen) und ständig rempelten mich an meinem Spot irgendwelche Leute an, weil sie zur Theke oder wieder zurück in die Menge wollten. Ich konnte mich nicht auf den Gig konzentrieren. Die Songs sind an mir vorbeigerauscht und haben nichts mit mir gemacht. Highlights in diesem Kontext sind schwierig auszumachen. Bei
"Lipstick on the Glass" konnte ich mal kurz abschalten und
"Giant Peach" kurz vor Ende war nochmal ein schöner Song zum Abgehen. Das Publikum um mich rum hatte seinen Spaß, die Leute waren gut drauf, gab auch bei den passenden Songs einiges an Bewegung (natürlich insbesondere zu
"Play the Greatest Hits"... schrecklicher Song). Die Band war gut aufgelegt, hat die Leute angeheizt und strahlt mittlerweile einiges an Bühnenpräsenz aus, was bei meinem letzten Gig von ihnen 2016 definitiv noch nicht so war. Nur bei den Ansagen haben sie sich etwas zurückgehalten, was zur lockeren aufgelösten Stimmung nicht so ganz gepasst hat (auch wenn mich sowas sonst gar nicht stört).
Die Setlist war für mich leider auch nicht optimal. "Blue Weekend" wurde bis auf die beiden
"The Beach"-Teile komplett gespielt, ich liebe die Platte eigentlich, aber in meiner Stimmungslage haben mir die meisten Songs nichts gegeben. Den Rest des Sets teilten sich die ersten beiden Platten. Auf RYM sieht es zwar nicht so aus, aber ich dachte, es wäre Konsens, dass die zweite Platte deutlich abfällt und so war auch live mein Eindruck. Besonders der 8-minütige (!) Titeltrack
"Visions of a Life" hat für mich überhaupt nicht funktioniert und auch sonst hatte ich den Eindruck, dass das Publikum bei diesen Songs zurückhaltender war (ausgenommen natürlich
"Don't Delete the Kisses", dessen Popularität ich auch nicht so ganz nachvollziehen kann). Hat natürlich auch bedeutet, dass vom Debüt einige Songs gefehlt haben. Dass dream-poppige Stücke wie
"Turn to Dust" oder
"Swallowtail" nicht mehr gespielt werden, dachte ich mir schon, aber Grunge-Banger wie
"Your Loves Whore" oder
"Fluffy" hätten gut zu meiner Stimmung gepasst und das Set für mich klar aufgewertet. Auch
"Moaning Lisa Smile", eigentlich ein Set-Standard, ist der Streichliste zum Opfer gefallen. Das wäre dann auch mein größter Kritikpunkt an der Show: Sie war mit 75 Minuten einfach zu kurz. 2016 wurden bereits 17 Songs gespielt, jetzt waren es nur zwei mehr. Das war mir etwas zu wenig, wenn auch für den Ticketpreis angemessen. Mit der nächsten Tour dürfte es in noch größere Locations gehen. Da darf man dann hoffentlich auch längere Sets erwarten.
Die Heimfahrt war insofern nochmal abenteuerlich, da die Bahn spontan ihren Fahrplan geändert hat, sodass ich erst 15 Minuten später in Mainz ankommen sollte (waren im Endeffekt 40 Minuten) und keine der um diese Uhrzeit nur sporadisch verfügbaren Anschlussmöglichkeiten nach Wiesbaden mehr erwischen konnte (auch ein Armutszeugnis... wir reden hier immerhin von zwei Landeshauptstädten). So ging es für mich für das letzte Stück dann noch mit dem Taxi nach Hause. Um 3 Uhr war ich im Bett und genauso fühle ich mich heute auch.
Insgesamt war es für mich in fast allen Belangen ein katastrophaler Abend. Ich sehe es als Lehrstunde, dass ich den Fernverkehr zukünftig für Konzerte nicht mehr nutzen werde und auch abseits davon gut darüber nachdenke, ob ich mir bei sonstigen Urlaubsreisen diesen Stress antue. Klar, es laufen nicht alle Tage bei der Bahn so schlecht, einige Verspätungen kann man auch durch Vorausplanung nicht unterbinden (gab z. B. einen Polizeieinsatz auf einer Strecke), aber sobald es mit den Verzögerungen einmal losgeht, fällt das Kartenhaus in sich zusammen. Der Streckenausbau, der solche Verspätungen auffangen könnte, geht zu zögerlich voran, sodass ich nicht glaube, dass sich hier in den nächsten Jahren etwas dran ändern wird. Die undurchsichtige Preispolitik und die in den Abendstunden ungenügende Verbindungsfrequenz kommen noch hinzu. Im Endeffekt opfert man für solche Aktionen einen halben Urlaubstag und ich kann froh sein, dass ich einen Job mit Gleitzeit-Modell habe, der sowas überhaupt ermöglicht. Für viele Menschen stellt sich aufgrund der beschissenen Anbindung die Frage der Bahn-Nutzung überhaupt nicht und ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Nicht-Digital-Native bei diesem Chaos überhaupt durchblicken soll. Im Endeffekt erkauft man sich nur das gute Gewissen des klimafreundlichen Reisens, büßt dafür alles an Komfort ein und zahlt dann noch deutlich drauf. Für mich ist jetzt damit Schluss. Die BahnCard wird gekündigt, bei Bedarf gibt es dann das Deutschland-Ticket und die nächsten Konzerte in Köln (bei denen ich mir im Vorfeld eh schon immer genau überlege, ob ich mir den Anreise-Stress antun möchte) werden dann wieder per Auto angefahren. Etwas traurig und vor allem frustriert bin ich dennoch darüber, aber für meine Nerven ist es die beste Entscheidung.
