Ich bin zurück in der Zivilisation und immer noch begeistert von diesem Festival. Anfangs überwog die Skepsis, da meine Mitstreiter eher mir zuliebe mitgefahren sind und lieber weiter in den Süden und auf zu größeren Headlinern wollten. Im Endeffekt hätten wir wahrscheinlich nirgendwo ein solch tolles Wochenende verbringen können, und das haben zum Glück alle so gesehen!
Die Besonderheiten:
1. Die Dour-Besucher sind sowas von entspannt, wir sind nur an sympathische, nie an nervende Leute geraten. Ich weiß nicht, ob's an der Menge an Joints um einen herum lag, ob das Leute waren, die primär wegen Reggae und Hiphop angereist waren, oder woran es sonst lag, aber überall - auch bei den Bühnen der anderen Genres, auch auf den Campingplätzen hat man einen totalen Respekt den Mitfeiernden gegenüber verspürt, der dem Hurricane mittlerweile total abgeht. Keine geltungssüchtigen Selbstdarsteller und somit auch die schlafreichsten Nächte, die ich je auf einem Festival verbracht habe - und das, obwohl wir anfangs das Green Camp nicht gefunden und daher im regulären Bereich gezeltet haben.
2. Das neueingeführte Green Camping: Ich war anfangs skeptisch ob der 15 Euro Aufpreis, die sich aber sowas von relativiert haben! Kurz vorher ging über den Newsletter, man möge eine Badehose mitbringen, und so haben wir unsere Festivaltage jeweils in der mobilen Sauna und im Freiluftpool verbracht. Danach konnte man nebenan für jeweils eine Stunde unbegrenzt besondere belgische Starkbiersorten "degustieren", was sofort zu Anfang des Tages eine total schöne Geselligkeit unter den Campern ergab. Ich tippe, die werden das Programm im nächsten Jahr massiv ausweiten müssen (und wollen), wenn sich das erst einmal rumspricht!
3. Das Bühnenkonzept: Die Bühnen gemäß Genres zu verteilen, hat mich von Anfang an überzeugt. So wurde jeder Musikrichtung ein eigener Raum auf dem Festivalgelände eingestanden, wo man auch einfach mal auf Verdacht eine Band länger bleiben konnte, als ursprünglich geplant. Dadurch, dass die meisten Zeltbühnen waren, gab es keinen Soundmatsch zu beklagen. Und die beiden offenen Bühnen waren zudem besonders: auf der größten waren keine Wellenbrecher (nur ein vertikaler Gang für die Security), und diese schienen bei den entspannten Massen auch nie notwendig zu sein. Und die Elektropodia war atemberaubend schön in ein Hügeltal gemorpht, so dass links und rechts baumbestandene Hänge zu sehen waren - und jeweils davor ein irres visuelles Konzept von der Bühne bis weit nach hinten, so dass jede Menge tanzende Leute Platz fanden und sich mittendrin fühlen durften.
Einzelne Kritikpunkte:
1. Wer die schönen Bäume nicht nur sehen, sondern sich vielleicht auch mal an einen anlehnen wollte, war - und das ist in solch einem Naturschutzraum wohl nicht anders möglich - auf die wenigen zum Verweilen einladenden Ecken auf dem Festivalgelände angewiesen. Die Cabane-Bar mit Kunstrasen wäre von Fusion- und wahrscheinlich sogar Dockville-Gängern milde belächelt worden.
2. Die Bühne Caverne hieß letztes Jahr noch Canibal Stage und fiel dementsprechend um einiges zahmer aus als durch die Buchungen der Vorjahre bedingt. Schade wäre, wenn da nächstes Jahr noch mehr Richtung Circa Waves spielen würde. So richtig Punkrock im Line-Up schien mir erstmals zu fehlen.
3. Die Dub Corner hätte ich mir gerade nachts gerne noch gegeben, wo die anderen Bühnen teilweise recht voll waren (wohlgemerkt nicht übervoll), diese machte aber immer schon als erste Feierabend.
4. Analoge Informationen zu den Absagen habe ich keine gesehen, das sollte trotz der Verbreitung der App weiterhin geboten sein.
Kein Kritikpunkt, aber schon seltsam:
Wir haben nur einmal andere Deutsche gesehen (diese aber aufgrund ihrer mitgeführten Flagge nicht angesprochen) und auch keine Briten, Spanier, Italiener etc. gehört. Die überwiegende Mehrheit waren Belgier, Franzosen und Niederländer.
Entdeckungen:
1. Idles
2. Robbing Millions
3. Mont-Doré
4. The Lemon Twigs
5. All Them Witches
6. Meute
7. Oathbreaker
8. Kate Tempest
Enttäuschungen:
Von Goldie war der Umriss seiner oberen Kopfhälfte zu sehen, und hätte dieser Kirmesansager vorne auf der Bühne nicht immer wieder seinen Namen gedropt, hätte da auch sonstwer sein DJ-Set abspielen können. Liegt aber auch daran, dass ich eigentlich seine Hits hören wollte und das bei DJs ja immer so eine seltsame Geschichte ist. Die Stimmung war trotzdem geil und steigerte sich sogar im Anschluss noch bei dem (ich dachte immer, weit unbekannteren) Andy C. Hätte der reingeschmuggelte Whiskey uns nicht früh zerlegt, hätte man sich bei der Stimmung auch noch DJ Hype und Chase & Status geben können.
Die großen Bands:
M.I.A., Nas und vor allem De La Soul haben starke Gigs vor einer würdigen Menge an Fans abgeliefert. Gerade für letztere hat es mich nach den Jahrzehnten der Gefolgschaft total gefreut, wären sie auf dem Hurricane doch wahrscheinlich auf einem Nachmittagsslot mit kleinem Publikum gelandet.
Die Fans von Phoenix waren auch gut am Feiern, da war ich aber nach zwei Nächten des Sich-nicht-mehr-Wiederfindens nur meiner Mitstreiter zuliebe und hätte mir eigentlich lieber SammyJankins' Tipp Amenra gegeben. Die Antwoord und den kompletten Sonntag mit Justice haben wir nach 4 vollen Festivaltagen ausgelassen (wir lagen aber auch weit über dem Altersschnitt).
