So - Robin, Nilo & ich haben mal die Köpfe zusammengesteckt und einen kleinen Bericht zum RBF 2018 verfasst. Inklusive gütiger Redigierhilfe von Stebbie & Co.
Für Nilos wunderbare Bilder empfehle ich einen Blick ins Magazin:
https://magazin.festival-community.net/ ... en-buehnen
Text so:
„Dürfte ruhig noch ein paar Tage weitergehen“, schreibt jemand bei einem bekannten Kurznachrichtendienst. Einzige logische Reaktion in Anbetracht des tief im Gemüt verankerten Post-Festival-Blues: Bitte, bitte ja!
Gemeint ist das Reeperbahn Festival – diese Veranstaltung, die die Hamburger Partymeile und den Kiez bis hin zum Schanzenviertel einmal jährlich ins Mekka für Entdecker neuer und frischer Musik verwandelt. Mit 45.000 Ticketkäufern wurde dabei 2018 einmal mehr ein neuer Besucherrekord aufgestellt. Unter diesen tummeln sich auch 5.500 Mitglieder der Musikbranche, die neben den vielen Konzerten an Panels, Sessions oder Podiumsdiskussionen teilnehmen und sich über Entwicklungen aus der Branche auf dem Laufenden halten.
Doch ist das Reeperbahn Festival nicht nur Szenetreff, auch beim breiten Publikum wird es immer beliebter und hat sich in unserer Festival Community längst zu einem All-Time-Favourite entwickelt – bei nur wenigen anderen Festivals ist die Forengruppe jedes Jahr aufs Neue so groß. Dabei sind es nicht nur die Locations, die man selbst nach dem fünften Besuch längst nicht alle gesehen hat, nicht nur der Vibe, der sich vom Spielbudenplatz bis Nobistor, vom Park Fiction bis zum Heiligengeistfeld ausbreitet, nicht nur die Musik, die das Reeperbahn Festival immer wieder zu einem neuen Erlebnis macht:was das Festival am meisten auszeichnet, ist die Belohnung des Entdeckergeists.
Zeigen andere Festivals nach einigen Jahren eine gewisse Abnutzungserscheinung, da man als Besucher eine gewisse Routine entwickelt hat, gleicht beim Reeperbahnfestival kein Weg dem anderen. Auf insgesamt knapp 2,5 Quadratkilometern durch das bunte Treiben von St. Pauli fühlt sich der Gang von Location zu Location an wie die spannendste Schnitzeljagd der Welt. Hinter jeder Ecke stößt man auf einen kleinen Laden, in dem gerade ein Showcase stattfindet, oder einen Hochbahnbus, der zur Bühne umfunktioniert wurde.
Absagen, lange Schlangen & Einlassstopp: Probleme des Reeperbahn Festivals
Dass bei einer so großen Zahl an Locations, Künstler*innen und Veranstaltungen nicht alles rund laufen kann, ist klar. Dass es in diesem Jahr ausgerechnet die Elbphilharmonie trifft, die durch Absagen zweier exklusiver Konzerte betroffen ist, ist da umso ärgerlicher. Für dieses aufwändige Setup kurzfristig einen adäquaten Ersatz finden? Das erscheint uns ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Im Vergleich dazu kurios wirken da die schon fast regelmäßig über die App eintrudelnden Absagen im Moondoo. In dieser Zahl ist das wohl einfach Pech.
In der App – und damit der Vermeldung von Ausfällen – manifestiert sich derweil einer der größeren Kritikpunkte an der diesjährigen Ausgabe des Reeperbahn Festivals: Die Bekanntgabe solcher Änderungen im Timetable häufen sich in diesem Jahr – und nicht alle werden ausreichend kommuniziert. Im Vorfeld verschwinden leider immer wieder Acts vom Line-Up, deren Absage sich dann erst in einer Randnotiz findet. Dabei ist natürlich klar, dass bei der Masse an Bands wie sie das Reeperbahn Festival jedes Jahr zusammen bucht, solche Absagen nicht zu vermeiden sind.
Ärgerlich ist aber, dass diese Ausfälle teilweise erst sehr kurzfristig kommuniziert werden. So erreicht die Nachricht, dass die Französinnen
Ibeyi nicht spielen werden,die Besucher erst, als sie schon in der Elbphilharmonie sitzen. Auch beim Konzert von
Her an gleicher Stelle kommt die Ankündigung der Absage erst um 14 Uhr des gleichen Tages, obwohl die Band schon Tage vorher sämtliches Rahmenprogramm abgesagt hatte. Die App ist dabei leider wenig hilfreich, die Push-Nachrichten kommen teils zu spät, teils gar nicht. Auch die Warnungen vor Einlass-Stopps bei Konzerten wie
Metronomy kommen bisweilen erst, als schon lange nichts mehr geht. Das ist verbesserungswürdig.
Surprise, surprise: Muse beim Reeperbahn Festival 2018
Darüber hinaus gibt es aber wenig zu beanstanden. Denn über allem schwebt das musikalische Line-Up mit rund 450 Bands und 600 Konzerte spielten – ein Programm, das an Vielfalt kaum zu überbieten ist. Natürlich hätten wir uns solch eine geschmackssichere Auswahl von Überraschungsacts wie im Vorjahr gewünscht: 2017 waren wir mit
Kettcar auf dem Lattenplatz,
Death From Above im Molotow und
Liam Gallagherauf der Warner Music Night dahingehend geradezu gesegnet. Dafür ist den Veranstalter des Reeperbahn Festivals in diesem Jahr dank Warner der Coup gelungen, mit
Muse eine internationale Stadionband ins Docks zu holen. Damit verkauft man auch kurzfristig noch Tickets an Fans aus Frankreich, England oder Spanien.
Diese müssen allerdings reichlich Geduld mitbringen: Nachdem bereits um 10 Uhr morgens geduldige Muse-Fans vor dem Docks gesichtet werden, zieht sich die Einlassschlange im Laufe des Abends über etliche Meter. Ähnlich verhält es sich bei den allseits beliebten
Metronomy, die in der Großen Freiheit 36 für Euphorie unter all denen sorgen, die es in den Club schaffen, oder dem Geheimtipp
International Music, dessen krautig-experimentelle Sounds wir lediglich von der Treppe des Molotows aus genießen können. Bei den schwedischen Post-Punkern
Viagra Boys ist die Schlange vor der Prinzenbar sogar kurzzeitig länger als die für Muse.
Denn auch das gehört zum Reeperbahn Festival: Man braucht gute Nerven, möchte man einen akribisch ausgetüftelten Bandplan in die Tat umsetzen. Doch wie so oft lohnt es sich auch hier, die Planung über den Haufen zu werfen und Locations zu entdecken, in die man sich sonst eher selten verirrt. Denn mal Hand aufs Herz: Wie oft ist man außerhalb des Reeperbahn Festivals etwa im Michel? Dieses Jahr haben wir gleich mehrere gute Gründe, das Hamburger Wahrzeichen von innen zu sehen. Während etwa
Okkervil River reduzierte Versionen ihrer Songs durch die heiligen Hallen schallen lassen und vor allem mit dem unverstärkt, rein durch die Stimme des durch den Michel wandernden Will Sheff, vorgetragenen A Song für Gänsehaut sorgen, trägt Konstantin Gropper alias
Get Well Soon richtig dick auf: Er arrangiert seine Songs extra für das Reeperbahn Festival komplett um, holt sich dabei Unterstützung von Gastsänger*innen wie
Kat Frankie oder
Sam Vance Law und lässt seinen Vater die monumentale Kirchenorgel bedienen.
Ebenfalls zu überraschen wissen
Friska Viljor, die unter dem Namen
Shotgun Sisters einen außergewöhnlichen Gig im Nochtspeicher abliefern. Sänger Joakim Sveningsson gibt dabei einen tiefen Einblick in sein Seelenleben und die vergangenen zwei Jahre, die ihn beinahe an den Abgrund führten. Die eigentlich als sehr tanzbar bekannten Schweden mal mit ganz anderen, wesentlich ruhigeren und dunklen Tönen? Das hinterlässt mächtig Eindruck.
Reeperbahn Festival 2018: Perlen über Perlen
Natürlich lebt das Reeperbahn Festival nicht von diesen großen Namen: Das Entdecken neuer, noch unbekannter Bands steht Jahr für Jahr im Vordergrund. Ob nun
The Holy mit ihrem wavigen, an Arcade Fire angelehnten Sound,
Altin Gün, die mit ihrem türkischen Psychedelic Folk die Menge zum Kochen bringen, die an frühe Black Keys erinnernden
The Blue Stones, das spanische Schredder-Duo
Bala, das Modern-Jazz-Trio
Mammal Hands, die den Resonanzraum am späten Samstagabend in freudige Trance spielen oder die holländischen Schrammelrocker von
Pip Blom – die Liste könnte ewig weitergehen und lässt ein anfängliches Zweifeln über die Line Up-Qualitäten in Staub verpuffen.
Zudem spielen auf dem Reeperbahn Festival so einige Acts, die wir schon auf früheren Festivals des Jahres abfeiern dürften: Die
Parcels legen im Vergleich zum Appletree Garden 2018 noch einmal eine Schippe drauf,
Amyl and the Sniffers reißen das Molotow ab und
Noga Erez ist mittlerweile ohnehin eine der beliebtesten Künstlerinnen der Festival Community. Hier macht sich zudem eine der großen Stärken des Reeperbahn Festivals bemerkbar: Die Veranstalter unterstützen die Keychange Foundation, die sich dafür einsetzt, dass auf Festivals bis 2022 ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Künstlern herrscht. Beim Reeperbahn Festival ist das jetzt bereits so – ein Umstand, von dem sich andere Festivals ruhig eine Scheibe abschneiden könnten.
Unter den angesprochenen Acts werden sich sicher auch in diesem Jahr wieder diverse finden, die in ein paar Jahren durch die Decke gegangen sein werden. Und dann wird man erstaunt feststellen, dass eben diese Acts 2018 auf dem Reeperbahn Festival gespielt haben, als man sie selbst noch nicht einmal auf dem Schirm hatte. Bis dahin freuen wir uns bereits auf die Suche nach solchen Perlen im kommenden Jahr. Auf das der Entdeckergeist wieder belohnt werde!