Ich bin mittlerweile auch wieder zu Hause angekommen und kann von meinem ersten Besuch beim Primavera Sound (WE 2) berichten. Insgesamt war es ein echt tolles Festival, obwohl die Rahmenbedingungen besser hätten sein können, da ich zum ersten Mal in meiner mittlerweile zwölfjährigen Festival-Karriere mit einer ordentlichen Erkältung während des gesamten Festivals zu kämpfen hatte. Mittlerweile sind auch meine Corona-Tests positiv. Hätte echt nicht gedacht, dass Festivals solche Superspreader-Events sind. Gefühlt hat es gerade wirklich jede:r, der:die es vorher noch nicht hatte.
Will vorab auch erst mal zu einigen der hier diskutierten Punkte meinen Senf angeben. Als erstmaliger Besucher kann mir hier ja niemand Befangenheit vorwerfen:
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App(s): Ja, die Installation von 3 Apps nur für dieses Festival war etwas nervig, aber letztendlich hat die Übertragung in die AccessTicket-App problemlos funktioniert und der Ablauf des Einlasses war so zügig funktioniert wie noch auf keinem anderen Festival. Ich musste nie auch nur eine Sekunde am Eingang warten.
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Trinken: Ja, das Bar-Personal war nicht vernünftig geschult und Bier wurde auch nie vorab gezapft. Dennoch liefen die Bestellungen zu 95 % super zügig ab, wenn man sich eine weniger besuchte Theke herausgesucht und vielleicht nicht den aller ungünstigsten Zeitpunkt (Bandwechsel auf den Hauptbühnen) gewählt hat. Meistens standen die Leute sogar brav in Schlangen, sodass noch nicht einmal die Gefahr bestand, dass an einem vorbei bedient wird. Gab auch noch ein paar Estrella-Selbstzapfanlagen, an denen auch nie viel los war und wo es (nach App herunterladen und registrieren) nochmal deutlich günstiger war als an den normalen Theken.
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Essen: War teuer (genauso wie die Getränke), aber super lecker. Gab auch dutzende vegetarische Alternativen (vegane bestimmt auch, hab ich nicht so sehr drauf geachtet) und die Wartezeiten waren nicht der Rede wert bzw. nicht vorhanden. Habe ich bislang auf keinem Festival so gut erlebt.
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Trinkwasser: Wenn es auf dem Gelände Schlangen gab, dann an den Trinkwasserstellen. Mich haben diese immer abgeschreckt, auch wenn es laut Lewis wohl recht schnell ging. Sind dann doch immer an die Theken ausgewichen. Also bitte für künftige Ausgaben gerne aufstocken. Von gratis verteilten Wasserflaschen habe ich nichts mitbekommen, aber vielleicht waren wir auch an den falschen Spots.
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Umwelt/Greenwashing: Hat man sich alles etwas schön geredet. Fängt mit der angeblich guten Klimabilanz der Sponsoren Binance, Cupra & Co. an und hört mit viel zu wenigen Müllcontainern auf. Das Pfandsystem hab ich immer noch nicht so richtig verstanden. Ich weiß nur, dass es für das inflationäre Sammeln von Bechern keine Incentives gab, sodass das auch niemand gemacht hat. Auf Wasser aus Alu-Dosen wurde überhaupt kein Pfand erhoben wurde. Positiv kann man erwähnen, dass die zurückgegebenen Becher an den Theken in der Regel auch für die neu bestellten Getränken genutzt wurden. Etwas übertrieben hat es jedoch ein mobiler Verkäufer mit Bierrucksack, der, als ihm seine Bechern ausgingen, einfach verdreckte Becher vom Boden aufgehoben und für den weiteren Verkauf verwendet hat.
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Toiletten: War ziemlich easy. Selbst Frauen mussten meistens gar nicht oder wirklich nur sehr kurz warten. Wenn man das Gelände etwas besser kannte, war es auch nicht schwierig, die eher weniger frequentierten Toiletten auszumachen. Laut meiner Freundin waren die Kabinen wohl auch ziemlich sauber. Seife und Desinfektionszeug waren leider meistens leer.
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Nebenbühnen: Die längste Schlange auf dem Gelände habe ich noch vergessen und das war die des Boiler Rooms. Die Bühne MUSS umplatziert werden, um Sound-Clashes mit der Plenitude-Bühne zu vermeiden. Wenn man sich als Zuschauer ganz rechts positioniert hat, konnte man das Schlimmste noch vermeiden, aber das war nicht immer möglich und die Artists waren auch oft sehr irritiert. Wenn es sich beim Boiler Room um so einen Publikumsmagnet handelt, wieso dann nicht diesen im tendenziell eher weniger besuchten Bits-Bereich unterbringen? Das würde nochmal mehr Leute dorthin locken. Ansonsten haben mir die meisten Bühnen gefallen, sowohl was Zugänglichkeit, Positionierung, Bühnensicht und Ausblick angeht. Besonders toll war der großzügige abschüssige Sitzbereich der Binance-Stage.
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Bits-Area: Ja, der Weg dorthin könnte (für Nicht-VIPs) kürzer sein und für Fans von schnellen Bühnenwechseln fällt die Area wohl komplett flach. Insgesamt lief sich der Weg aber relativ flott. Man hat sich zudem der Kritik angenommen und z. B. mit der Verlegung von 2manydjs versucht, den Bereich für die Besucher:innen attraktiver zu machen (auch wenn die Überschneidung mit Bicep dann einige gewurmt hat). Der Rückweg von Bits zum großen Gelände war aufgrund der Treppen etwas anstrengender, zumal die Unterführung auch ein kleines Bottleneck war. Ich hoffe, dass man sich mit dem Hafen-Betreiber einigen kann, sodass die eigentliche Brücke wieder von allen genutzt werden kann.
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VIP: Mir fehlt der Vergleich zum Vorjahr, aber im Netz haben sich diverse VIP-Ticketinhaber:innen über zu wenige Benefits beschwert. Auch wenn ich das aus Nicht-VIP-Perspektive z. T. nachvollziehen kann, muss ich sagen, dass ich sehr froh darüber bin, dass es keine VIP-exklusiven FOS-Bereiche vor den beiden Hauptbühnen mehr gibt. VIP-Tickets sollten das Festival für deren Käufer:innen angenehmer und vielleicht auch luxuriöser gestalten, aber "normale" Besucher:innen sollten keine Nachteile dadurch erfahren. Die neue VIP-Bühne vor den beiden Hauptbühnen hat jedoch niemandem etwas gebracht. Für VIPs war sie zu weit hinten platziert und bot keine attraktivere Sicht auf die Bühne. Für normale Leute war sie ein riesiges Sichthindernis auf die Bühne und sorgte gerade bei den gut besuchten Heads auf der linken Seite für ein ziemlich fettes Bottleneck. Daher bitte die VIP-Bühne mit ordentlicher Erhöhung auf die rechte Seite stellen, mit ausreichenden Toiletten und Thekenpersonal ausstatten und meinetwegen noch Premium-Food/Drinks anbieten, die es sonst auf dem Gelände nicht gibt. Genauso wird es beim Graspop, ebenfalls mit parallelen Hauptbühnen, gemacht und da wird das Angebot ausgesprochen gut angenommen.
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Hauptbühnen: Am liebsten sind mir natürlich auch die Festivals, bei denen ich entspannt kurz vor jedem Act noch einen guten Platz ergattern kann. Beim Graspop ist das z. B. so, aber die haben auch einen höheren Altersschnitt, wo es sich viele Leute auch gerne weiter hinten gemütlich machen. Beim WE 2 war das Publikum dem Booking entsprechend jedoch sehr jung und das zugkräftigste Parallelprogramm der Welt verhindert nicht, dass sehr viele Menschen Acts wie Dua Lipa, Tame Impala und Gorillaz sehen möchten und es vor der Bühne voll wird. Eine Gefahr für Leib und Leben habe ich hier jedoch nie erlebt. Ein wenig unangenehm war es für uns lediglich bei den Gorillaz, wo es schon etwas eng war und wo vor allem dem Publikumsaustausch sowohl nach vorne als auch nach hinten wenig Spielraum geboten wurde. Ob hier Wellenbrecher (nach hinten oder zwischen beiden Bühnen) etwas bringen würden? Ich weiß ja nicht. Bei uns hätten die nix gebracht, dafür standen wir noch zu weit hinten. Ich glaube, die Verfrachtung der zentral platzierten VIP-Bühne an die Seite würde hier am meisten helfen, weil sie das Schauen von weiter hinten wesentlich attraktiver machen würde. Wenn es dann noch möglich wäre, den Hauptbühnen-Bereich hinten zu beiden Seiten verlassen zu können, dann sehe ich hier eigentlich gar keine Probleme mehr. Die gegenüberliegenden Bühnen aus den Vojahren würden bestimmt für mehr Publikumsbewegung sorgen. Auf der anderen Seite ist so ein Doppelbühnen-Konzept schon ganz nice und wurde bereits auf so vielen Festivals erfolgreich umgesetzt. Das schafft das Primavera bestimmt auch noch.

Weniger Publikum wäre natürlich auch nett, aber mit dem Fokus auf die ganz großen Heads glaube ich nicht so recht daran. Ist halt immer noch ein Major-Festival.
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Sound: Ist hier interessanterweise erstaunlich gut weggekommen. In den meisten Fällen war ich auch vollauf zufrieden, aber gerade an den Hauptbühnen kam es mMn etwas zu häufig vor, dass man beim ersten Song überhaupt keinen Gesang gehört hat, was dann ab dem zweiten Song gefixt wurde. Dua Lipa war dagegen konstant zu leise. Bei Standpunkten weit außen kam von den Lautsprechern auch nicht mehr viel an, da die Front-Speaker zu weit entfernt waren und die Back-Speaker hinter dem VIP-Deck zu wenig nach außen geneigt waren. Daher also besser auch weiter hinten noch einmal äußere Speaker aufstellen.
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People: Die meisten Personen waren super entspannt und gut drauf und die Stimmung bei fast allen Gigs war ausgezeichnet. Hab mich natürlich insbesondere gefreut, ein paar Leute aus diesem Forum zu treffen, auch wenn die Begegnungen viel zu selten und meistens viel zu kurz waren. Influencer:innen konnte ich gut ignorieren und sonstigen Stress hatte ich vor Ort nie. Da sich hier öfters über laut quatschende Spanier beschwert wurde: Die Personen, die mir diesbezüglich unangenehm aufgefallen sind, waren so gut wie immer Briten. Ansonsten ein paar Teenies, die ihren Alkoholkonsum falsch eingeschätzt haben und Leute, die meinen, sich in zu engem Gedränge Kippen anzünden zu müssen. Das Übliche halt.
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Primavera a la Ciutat: Konnte sich im Prinzip jede:r vorher denken, dass die Konzerte mit theoretischen Besuchern von zwei kompletten Wochenenden völlig überlaufen sein werden, aber die Ausmaße haben wohl einige Anwesende doch etwas erstaunt. Ich bin generell kein Fan solcher Ansteh-Gigs. Die Ungewissheit, ob ich nach mehreren Stunden Warterei tatsächlich reinkomme, würde mich komplett fertig machen. Für mehr Unmut sorgte jedoch die Tatsache, dass eben kein first come first serve galt, sondern DICE-Ticket > VIP-Ticket > Ticket WE 1&2 > Ticket WE 1 oder 2. Mindestens die Unterscheidung der letzten beiden Kategorien hätte man sich auf jeden Fall sparen können, zumal das meine ich auch nicht von Anfang an so klar kommuniziert war. Damit hätte man einigen Leuten eine Menge Frust erspart. Beruht jedoch alles nur auf Hören-Sagen. Live habe ich mir dieses Warteschlange-Schauspiel nie gegeben. So ganz ist mir das Konzept dieser Gigs auch noch nicht klar. Will man intime Zusatz-Gigs von Festival-Acts für Fan-Ultras? Will man exklusive Bonus-Gigs von Nicht-Festival-Acts? Will man die Venues vor Ort promoten? Will man den Locals, die sich kein Festivalticket leisten können, ebenfalls den Zugang zu Konzerten ermöglichen? Ich finde, man sollte sich überlegen, was man mit dem Programm unter der Woche eigentlich erreichen will und dann die Organisation darauf ausrichten.
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Brunch at the Beach: Auch hier hätte man sich vorher denken können, dass für die 10 Acts vermutlich nicht das komplette Festivalgelände geöffnet wird. Dennoch hätte hier eine entsprechende Kommunikation nicht geschadet. Dass dann von den Behörden kurzfristig eine offizielle Zulassungsbeschränkung verlangt wurde, war natürlich blöd. Dennoch wären auch hier genug Zeit vorhanden gewesen, das zu kommunizieren, anstatt einfach zu einer Zeit, wo die meisten noch schlafen, ohne Vorwarnung einen Registrierungsprozess freizuschalten, der dann ruckzuck ausverkauft ist. Uns hat es nicht betroffen, da wir eh nicht hinwollten, aber ich verstehe den Ärger vieler Leute. Immerhin hat man sich mit den kurzfristig anberaumten Club-Gigs um Schadensbegrenzung bemüht.
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Kommunikation/Organisation: Abgesehen von den bereits angesprochenen Punkten und dem vermutlich zurecht kritisierten WE 1-Donnerstag war es meiner Meinung nach in Ordnung. Für Massive Attack hätte auch ich mir einen Ersatz gewünscht (muss noch nicht mal gleichwertig sein). Scheint wohl dieses Jahr eine angespannte Situation auf dem Booking-Markt gewesen zu sein. Ansonsten haben mich eigentlich nur die ständigen Timetable-Anpassungen genervt. Die sind natürlich verständlich, wenn Acts super kurzfristig absagen, aber gefühlt wurde da ständig dran rumgebastelt. Hier mal alle Pausen auf den Hauptbühnen von 5 auf 15 Minuten erhöht. Gorillaz spontan doch 15 Minuten früher, Shellac und Sky Ferreira tauschen Slots usw. Alles kein Ding, wenn es dafür gute Gründe gibt, aber bitte haut doch einfach bei so etwas mal eine Info raus. Auf dem Gelände war meistens gutes Internet, sodass solche Updates auf sehr vielen Smartphones angekommen wären. Ansonsten noch Probs, dass die Kritik mit der Überfüllung der Binance-Stage angenommen wurde. Bei Angèle am Samstag standen dort auf beiden Seiten Ordner mit Absperrband und haben den Publikumsbereich vor Überfüllung geschützt.
Letztendlich muss man sagen, dass die meisten der im Internet geäußerten Kritikpunkte insb. vom ersten Donnerstag für mich während des zweiten Wochenendes schlichtweg nicht mehr vorhanden waren. Ich hatte nach den ersten Berichten in Foren und auf Social Media sehr große Bedenken bzgl. des Festival-Ablaufs und hab mich da sehr verrückt machen lassen. Man muss einfach bedenken, dass gerade auf Social Media sehr viel übertrieben wird. Fyre-Festival-Vergleiche werden so inflationär gedroppt, dass ich diese wirklich nicht mehr ernst nehmen kann. Ich denke, ein Großteil der auf den Donnerstag bezogenen Kritik war vermutlich gerechtfertigt und es wäre natürlich schöner gewesen, wenn von Anfang an alles glatt gelaufen wäre. Aber die Kritik wurde angenommen und innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Maßnahmen ergriffen, sodass sowohl ich als auch die meisten anderen Besucher:innen am Ende hoffentlich eine schöne Zeit hatten.
Zu den Bands schreibe ich später nochmal ausführlicher. Da dank Corona mein nächster Urlaub auf Eis liegt, hab ich ja zum Glück ausreichend Zeit dafür.
