Ich pack es mal hier hinein, weil es Literatur als Ausgangspunkt zum Denken nutzt, im Grunde lässt es sich aber auch auf viele andere Formen der Popkultur übertragen (Filme, Serien, Games, Theater, mittlerweile auch Musikvideos): Vor ein paar Tagen hat Parul Sehgal im New Yorker einen
vielfach diskutierten Text geschrieben, der auf etwas abzielt, dass auch mich schon lange nervt: Die Tendenz zeitgeistiger (Pop-)Kultur, den ohnehin schon nervigen Hang alles und jeden zu Überpsychologisieren in noch schlimmere Gefilde zu überführen und nun alles und jeden zu "traumatisieren" und das Kunstwerk als Therapiemaßnahme zu konzipieren. Statt interessante Konzepte und Ideen zu entwickeln oder wenigstens wirklich komplizierte Charaktere zu umreißen, gibt man Person X einfach ein traumatisches Ereignis Y, das in der Vergangenheit liegt, an die Hand, enthüllt dieses nach und nach und, zack, die "Charaktertiefe" schreibt sich ganz von selbst. Der neue James Bond war da ein Ärgerliches Beispiel ("Jammerlappen-Bond" hat Wolfgang M. Schmitt das passenderweise genannt") oder halt fast jede Serie der letzten Jahre, in denen es, egal welches Setting man zu Grunde legt, irgendwann doch wieder nur um Vaterkomplexe und Gewalt-Traumata der Vergangenheit geht (z.B. die nicht unbedingt absolut schlechte, aber total ärgerliche Serie "For All Mankind", "Lefovers" und und und...). Abgesehen von ästhetischer Langweile, wirft das natürlich auch moralische Fragen auf, wenn Traumata als "Instrument der Spannungserzeugung" benutzt werden.
Aus gegenwärtiger Literatur kenn ich das ganze tatsächlich nur bedingt, einfach da ich so preisgekrönte, "wichtige", bürgerliche Feuilleton-Literaturhaus-Literatur schon lange ziemlich uninteressant finde und daher meide, aber gerade in audio-visuellen Medien geht mir das schon lange auf den Zeiger.
Dementsprechend hier eine Empfehlung für den langen
Text im New Yorker und die ebenfalls sehr gute, etwas kompaktere
Behandlung des Themas durch Johannes Franzen in der Zeit.