Monkeyson hat geschrieben: ↑So 24. Mai 2020, 14:10
Stebbie hat geschrieben: ↑So 24. Mai 2020, 12:42
Das Thema Atlantic City wurde zumindest eine ganze Episode (glaube E6?) lang behandelt und auch die Gerüchte über mögliche Absprachen zwischen Stern und Jordan wurden angesprochen.
Ah, okay. Interessanterweise würde eine Krankheit wie die kolportierte Wettsucht ihn für mich sogar sympathischer machen, andernfalls müsste ich an seiner Liebe zur Sportart zweifeln. Zumindest bliebe für mich unerklärlich, warum man sich auf dem Höhepunkt seines Schaffens mit der lapidaren Begründung zurückzieht, man sehe keine Herausforderung mehr. Eine Herausforderung wäre bspw gewesen, mit Charlotte die Heimatregion zum Erfolg zu führen, wie es LeBron mit Cleveland getan hat. Oder zig andere Konstellationen, in denen er sich hätte beweisen können, anstatt zu golfen oder sich plötzlich als Schauspieler oder Baseballer zu versuchen. Es bleibt seine Entscheidung, die spreche ich ihm auch nicht ab. Aber so eine Passion, wie man sie bei Kobe in jeder Sekunde seines Wirkens gespürt hat, ginge Jordan in meinen Augen dadurch völlig ab.
Um solche Fragen zu beantworten und vielleicht auch weitere falsche Mutmaßungen zu vermeiden, solltest du dir die Serie vielleicht einfach mal anschauen. Dann wirst du sehen, dass man sich dort sehr ausführlich mit Jordans Mentalität, Motivation, persönlichen Schicksalen, Schwierigkeit mit sozialen Kontakten, Isolation und ganz sicher auch mit seinem Hang zum Gambling auseinandersetzt. Und wie Stebbie schon ganz deutlich gemacht hat: natürlich hat das einen persönlichen Jordan-Filter. Natürlich wird er nicht bei einer offenen Demontage seiner eigenen Persönlichkeit mitwirken. Im Großen und Ganzen wird aber nach meinem Empfinden auch überraschend wenig geschönt und viele wirklich unschöne Dinge deutlich und mehrfach angesprochen.
Du darfst aber auch nicht vergessen, dass Jordan neben all diesen mehr oder weniger schwer wiegenden Verfehlungen die größte Sportpersönlichkeit aller Zeiten war. Nie zuvor und auch bis heute hat nie eine Einzelperson im Sport einen derartigen weltweiten Hype ausgelöst. Selbstverständlich ist ein wesentlicher Fokus der Doku, diesen Umstand herauszuarbeiten und das gelingt ihr meiner Meinung nach auch sehr überzeugend. Ich weiß nicht wie alt du bist, würde aber einfach mal vermuten, dass du die 90er noch nicht als junger Erwachsener mitbekommen hast - ich übrigens auch nicht. Aber ich habe mich nun öfter mit meinem Bruder (Jahrgang 81) über die Serie unterhalten und man muss sich wohl auch mal vor Augen führen, dass für eine bestimmte Generation Michael Jordan fast schon eine Art Gottheit war. Und das ohne Internet, ohne soziale Medien, ohne dass NBA-Basketball so einfach in Europa zu verfolgen war wie heute. Dem Typen ist es gelungen eine eigene Sportschuhmarke so erfolgreich zu machen, wie es heute ganze Hersteller mit ihrem gesamten Produktkatalog nicht sind. Das muss man nicht toll finden, tue ich jedenfalls ganz ausdrücklich nicht, aber man muss einfach anerkennen, dass er eine Strahlkraft erreicht hat, die vorher wie auch heute nicht vorstellbar war bzw. ist.
Und dass er diese Größe vor allem durch seinen Sport erreicht hat, auch das kann die Doku darlegen. Allein wie oft und intensiv Jordan Provokationen in brachiale sportliche Gewalt umgewandelt hat, ist beeindruckend. Er hat seinen Gegner dann einfach zerstört, ohne Übertreibung. Und das mehrfach, jahrelang. Ich zumindest kenne nichts vergleichbares.
Gleichzeitig muss ich wirklich sagen, dass Jordan aufgrund dieser Doku bei mir persönlich deutlich an Sympathien eingebüßt hat (was ihm herzlich egal sein dürfte). Gleichwohl seine Persönlichkeit nicht so von Experten, Ärzten und Psychologen zerrupft wird, wie du es dir vielleicht wünschen würdest, so kann man auch einfach ein bisschen zwischen den Zeilen lesen, das Gesehene begreifen, seinen eigenen Verstand benutzen und zu der Erkenntnis kommen, dass Jordan ganz sicher viele Probleme mit sich und anderen hatte und vermutlich ein sehr einsames Leben verbracht haben dürfte. Sein bester Freund in Person seines Vaters wurde 1993 erschossen, von seinem Team war er isoliert aufgrund seines Leistungsanspruchs und seiner Berühmtheit, er hat zwanghaft aus jedem Mist eine
competition gemacht - und das am liebsten um Geld. Nicht weil er süchtig war nach Geldgewinnen, sondern weil er seine Gegner ausnehmen wollte. Weil er immer der Beste sein wollte. Und weil er es sich einfach leisten konnte. Natürlich ist das seine Sicht und das kann man ganz sicher auch kritisieren und hinterfragen, aber den Raum lässt dir die Doku auch absolut. Der Mann ist süchtig nach Wettkampf und Herausforderung, daran sollte kein Zweifel bestehen. Das ist aber eben auch nur Teil eines relativ komplexen Gebildes.
Übrigens verstehe ich nicht, warum du offenbar so einen Wettkampf zwischen Jordan und Kobe oder sonst einem Superstar sehen willst. Darum gehts dir echt? Warum muss es denn immer einen Allergrößten geben? Wieso kann man nicht einfach anerkennen, dass jemand eine sportliche Legende ist und sich gleichzeitig mit jemand anderem mehr identifizieren? Ich persönliche hätte zB am allerliebsten die Karriere von Nowitzki hingelegt. So what? Sorry und wirklich no offense, aber ich raff das nicht wirklich.