Ich habe nun auch endlich die Zeit gefunden, mein Musikjahr 2017 Revue passieren zu lassen. Warnung: Der Text ist etwas länger geworden, aber vielleicht interessiert es ja dennoch den ein oder anderen.
Musikjahr 2017
Essentials:
Protomartyr - Relatives In Descent
Wo
Under Color Of Official Right und
The Arc Intellect schon zu den interessantesten Genre-Platten der jeweiligen Jahre gehörten, erfolgt nun mit
Relatives In Descent das absolute Meisterstück von Protomartyr. Auch all denen, die bei dem Keyword ‚Post-Punk‘ die gute Musik vor lauter drittklassiger Joy Division-Verschnitte nicht mehr hören können, sei versichert: Ihr seid hier ohne Zweifel gut aufgehoben. Denn auf diesem Album wird wahrlich Großes kreiert. Das Songwriting legt Quantensprünge zurück im Vergleich zu jeglichem Output der Vorgängeralben, Sänger Joe Casey keift und faucht intensiver denn je zuvor und die on-point Produktion, die in Zusammenarbeit mit Sonny Dipteroi entstanden ist, gehört genreübergreifend zum Allerbesten, das meine Ohren in den letzten Jahren verarbeiten durften. Allein die Abmischung der Gitarre(n) sollte mit allen Musikpreisen dieser Welt überhäuft werden. Textlich werden die gängigen Klischees souverän umschifft. Gebrochene Herzen und verliebtes Anschmachten sucht man hier vergebens, stattdessen dominieren die Philosophie der Skeptiker und die Existenzialistische Furcht den dröhnenden Gesang Caseys. Referenzen aus Literatur und Philosophie findet man zuhauf. Musikalisch wechseln sich wummernde Vertonungen längst schon Gegenwart gewordener Instrumental-Dystopien mit aggressiv schreienden Ausbrüche aus eben dieser konstant ab. Die komplette Tiefe dieser Hörbarmachung von Furcht und Ungewissheit, offenbart sich dem Hörer dabei allerdings erst schrittweise - von Track zu Track, von Albumdurchlauf zu Albumdurchlauf. Die emotionalen Höhepunkte bleiben stets flexibel - im Albumkontext, aber auch innerhalb der verschiedenen Stücke. Erscheint einem heute noch der wahnsinnig gute Opener „A Private Understanding“ mit seinem mantraartig anmutenden „
She's just trying to reach you“-Outro als der Punkt, von dem aus es nicht mehr höher hinaus geht, bieten schon im nächsten Augenblick das hypnotische „Night-Blooming Cereus“ oder der dröhnende Punker „Male Plague“ das Potenzial alles bisher glaubte wieder von Grund an auf den Kopf zu stellen. Letztendlich kann der Apell nur lauten: Hört dieses Album. Hört es, wenn ihr durch die depressiven Verstimmungen der Hochhausgassen eurer Heimatstadt lauft. Hört es und ihr werdet euch noch beschissener fühlen. Es lohnt sich trotzdem. Uneingeschränkt.
(Anspielstipps: „A Private Understanding“, „Half Sister“, „Male Plague“)
Thundercat - Drunk
Nachdem Steve Bruner a.k.a. Thundercat, seines Zeichens einer der begnadetsten Jazz-Bassisten der Jetztzeit, 2015 das Kunststück vollbracht hat, innerhalb von knapp 18 Minuten mit seinem Mini-Album
The Beyond / Where the Giants Roam die Herzen von Kritikern und Hörern (inkl. meinem) gleichermaßen zu verzücken, war die Erwartungshaltung an das Nachfolgewerk
Drunk alles andere als gering. Und es wurde geliefert. 23 Tracks in knapp 50 Minuten - die Highlights folgen Schlag auf Schlag. Zeit zum Durchatmen? Fehlanzeige. Es ist wirklich beachtlich mitzuerleben, wie auf
Drunk - wo große musikalische Expertise auf immense Spielfreude treffen - gnadenlos alles weggefunked wird, was sich nicht bei drei im nächsten Ambientzelt verkrochen hat. Die Art, in der auf ein jazziges Fundament verschiedenste Bausteine aus Soul, Hip Hop, Funk geschichtet, abgerissen und wieder neuarangiert werden, dürfte auch bei all denen Anklang finden, die eigentlich mit keinem der genannten Genres besonders viel anfangen können. Neben der sicherlich klar immer Vordergrund stehenden musikalisch-kompositorischen Seite von
Drunk, sind aber auch die Lyrics alles andere als Lückenfüller. Klar, die Grenzen der Poesie werden hier nicht neu ausgelotet, aber warum auch? Die wunderbar ironischen Texte, die mit einem Themenspektrum von Digitalisierung, über die Gründe, die dafür sprechen eine Katze sein zu wollen bis hin zu Dragonball-Z, so ziemlich alles Mögliche und Unmögliche umfassen, zaubern zumindest mir mit jeden Durchlauf ein neues Grinsen ins Gesicht. Abschließend einzelne Lieder herauszupicken, gestaltet sich, aufgrund der schieren Fülle an Highlights, als schwierig, einer sei aber Erwähnt: „Them Changes“. Diese Bassline, dieser Moment, wenn nach kurzer Zeit das Jazz-Piano einsetzt - in dieser Dekade wurde nie besser gefunked.
(Anspieltipps: „Them Changes“, „Tokyo“, „A Fan's Mail (Tron Song Suite II)“)
The War On Drugs - A Deeper Understanding
Ein Wehmutstropfen: An die Qualität von
Lost In The Dream (10/10) reicht es nicht ganz heran und das Niveau von Überhighlights wie „Under The Pressure“, „In Reverse“ oder „An Ocean In Between The Waves“ wird nur einmal - Stichwort „Thinking Of A Place“ erreicht. Dennoch: Es ist schon Wahnsinn auf welchem Niveau diese Band schon seit Slave Ambient abliefert. Wohl eine wichtigsten „echten“ Indiebands der Gegenwart. Hier sitzt - wieder einmal - jeder Ton genau dort, wo er sein soll, ohne das im Endergebnis auch nur der Hauch eines Gefühls von Geplantheit entsteht. Selbst nach Rotationsdurchgängen im zehnstelligen Bereich verliert man sich Mal um Mal in dem einzigartigem kompositorischen Detailreichtum und entdeckt immer wieder Neues - die Harmonica in „Nothing To Find“, das Piano in „Thinking Of A Place“ - gerade durch die vielen Kleinigkeiten hebt sich das Niveau bei dieser Band noch einmal um ein Vielfaches. Es ist schlicht und ergreifend eine riesige Bereicherung, dass es auch in einer Gegenwart, in der es schon so weit gekommen ist, dass die Aufmerksamkeitsspanne des Goldfischs, die seines Besitzers übertrumpft, eine Band wie The War On Drugs gibt. Eine Band, die in so unaufgeregter Manier, ganz ohne bahnbrechende Grenzverschiebungen, Musik für die Ewigkeit komponiert. Musik, zu der nun auch der arme autolose Student in Gedanken kreuz und quer über all die Highways dieser Welt brettern kann.
(Anspieltipps: „Thinking Of A Place“, „Holding On“, „Pain“)
The New Year - Snow
Kennt noch jemand Bedhead? Diese wunderbar unscheinbare Band aus Dallas, Texas, formiert um die beiden Brüder Matt und Bubba Kadane? Die Band, die mit der Vermischung von Slowcore und Post-Rock solch nahezu perfekte Kleinode wie
WhatFunLifeWas oder
Transaction de Novo komponiert hat und die Herzen der Indie-Gemeine hat höher schlagen lassen? The New Year jedenfalls sind ihres Zeichen das Quasi-Nachfolgeprojekt dieser wahnsinnig tollen Band und lassen nun mit
Snow erstmals seit knapp 10 Jahren wieder etwas von sich hören. Monumental viel hat sich glücklicherweise nicht verändert: Einige personelle Schrauben wurden gedreht, die pure Langsamkeit wurde, zugunsten einer etwas dynamischeren Herangehensweise an die Musik, etwas zurückgestellt und in die Texte hat sich ein Prise lakonischer Humor eingeschlichen. Ansonsten ist aber eigentlich alles beim Alten. Immer dann, wenn die Tage wieder kürzer werden und sich die Farbgestaltung der Stadt mit jeder Stunde ein kleines Stück weiter in Richtung grau verschiebt, liefern die Gebrüder Kadane den passenden Soundtrack zur Gegenwart. Im Unterschied zu der Musik von Bedhead sieht die New Year’sche Winterlandschaft etwas weniger melancholisch aus. Ein kleines bisschen weniger Schwere liegt über den Dingen und alles läuft ein wenig dynamischer vor dem geistigen Auge des Hörer ab. Von Beschwingtheit sind wir aber natürlich auch hier so weit entfernt, wie Olaf Scholz von einem adäquaten Umgang mit einem G20-Gipfel. Aber warum von Hafengeburtstagen reden, wenn man sich auch in einer der besten Platten des Jahres selbst verlieren kann? Verlieren in dem von Jazzdrums subtil unterlegten „The Last Fall“, das sogar komplett ohne Gitarren auskommt und dafür gar mit zarten elektronischen Klängen ins Outro abgleitet. Oder in „Snow“, dem wunderbaren Titeltrack der Platte. Dem einen der beiden Tracks, die über die 6 Minuten-Grenze hinauswabern und dabei so großartig sind, obwohl vordergründig eigentlich gar nicht so viel passiert. Oder wie wäre es mit dem Doppelpack aus „Homebody“ und „Recent History“. Beide sind fast schon echte (Indie-)Hits für Bedhead-Verhältnisse. Am Ende lässt man die Platte natürlich einfach von Start bis Ende durchlaufen. Und noch einmal. Und nochmal. Und nochmal…
(Anspieltipps: „Recent History“, „Homebody“, „The Beast“)
Kamasi Washington - Harmony Of Difference
Sechs Vinyl-Sites, 17 Stücke und eine Laufzeit von insgesamt 173 Minuten und 33 Sekunden.
The Epic war gigantisch - in Qualität, in Quantität.
The Epic konnte aber vor allem auch eines sein: Überfordernd. Der schiere Umfang dieses Mammut-Albums machte es dem geneigten Hörer (und so auch mir), dessen Jazz-Verständnis sich im Regelfalls auf die üblichen 20, 30 Klassiker beschränkt, 2015 nicht wirklich leicht einen angenehmen Aufschlag für das Spiel mit Kamasi Washington zu finden. Trotz - für Genre-Verhältnisse - eher einfach zugänglicher Musik. Genau an dieser Stelle baut
Harmony Of Difference nun die notwendigen Brücken. Sieht die andere Seite doch auch einfach zu schön, zu malerisch aus, als dass man einfach hierbleiben könnte und sagen: Ich verzichte. 31 Minuten, 6 Tracks, eine 10-stellige Zahl absoluter Virtuosen des Fachs. Doch sind derartige Eckdaten für Künstler mit der musikalischen Expertise eines Kamasi Washington oder eines Cameron Graves (der hier am Piano zu hören ist) eher kreatives Gefängnis, denn tatsächlicher Orientierungspflock. Im Grunde genommen handelt es sich bei
Harmony Of Differences um nur einen halbstündigen Song. Die entsprechenden musikalischen Motive tauchen allesamt bereits im (auf-)taktangebenden „Desire“ auf und ziehen sich fortan in Variationen unterschiedlichster Couleur durch das komplette Album. Wobei „Knowledge“ noch das Ruhige, das Ordentliche zelebriert wird und die einzelnen Instrumente abwechselnd den Gang ins Rampenlicht antreten dürfen, zieht das Tempo ab „Perspective“ schließlich weiter an, bis „Integrity“ letztlich auch den letzten Gast des Jazz-Clubs cocktailschlürfend auf die Tanzfläche bittet. Um zum Herzstück dieses wunderbaren Kleinods vorzudringen, muss der geneigte Gast allerdings bis zum Schluss warten. Ladies and Gentlemen, es folgt: „Truth“. 13 Minuten pure Jazzekstase und einer der musikalischen Schlüsselmomente des Musikjahres 2017. Wenn nach fünf Minuten behutsamen Aufbauens feinster Jazz-Architektur mit Hilfe von Instrumenten und spirituellen Chören, abschließend Schlagzeug und Bass gemeinsam das Tempo erhöhen, nur um Kamasi Washingtons finalem Saxophon-Solo den Weg zu ebnen, sollte auch dem letzten Hörer klar werden: Wer jetzt nicht verzückt ist, der hat die Musik nie geliebt.
(Anspieltipps: „Truth“, „Truth“ und nochmal „Truth“)
LCD Soundsystem - American Dream
Nun, wer hätte das gedacht? Ein neues Album von LCD-Soundsystem nach Auflösung, Hiatus und großer Comeback-Feier? Die Antwort ist: Vermutlich so einige. Schien doch so viel kreatives Potential noch unausgeschöpft, so viele Ideen nicht in Wohlklang verwirklicht. Die Vermutung war letztendlich gut begründet: Mit
American Dream knüpft James Murphy exakt an das schwindelerregend hohe Niveau an, das er 2010 mehr oder weniger unvollendet im Raum hatte stehen lassen. Alte Straßen werden gekehrt und neu beschritten, aber auch komplett neue musikalische Zweige erweitern das wohlbekannte LCD Soundsystem-Streckennetz auf
American Dream. Mit „Oh Baby“ wird mal eben der emotionalste und - steinigt mich liebe Groupies - beste Opener der Discographie aus dem Ärmel geschüttelt, das groovige „Change Yr Mind“ klingt so dermaßen fantastisch nach den Talking Heads, dass man vor dem geistigen Auge schon nach wenigen Sekunden einen epileptisch vor sich hintanzenden David Byrne die Bühne entern sieht, und beim neunminütigen „How Do You Sleep?“ erfolgt schließlich die grenzgeniale musikalische Fusion von LCD Soundsystem und The Knife in Form von neun Minuten absoluter Ekstase, von denen jede einzelne Sekunde laut und deutlich „Song des Jahres“ schreit. Man kann nur hoffen, dass es sich bei
American Dream nicht um ein Spätwerk handelt - denn dafür ist es verdammt nochmal viel zu gut.
(Anspieltipps: „Oh Baby“, „Change Yr Mind“, „How Do You Sleep?“)
Honorable Mentions:
Slowdive - Slowdive
Obwohl auch hier nicht komplett an die musikalischen Großtaten vergangener Tage angeknüpft werden kann, schaffen es Slowdive doch mit spielerischer Leichtigkeit die mediokeren Spätwerke der Genrekollegen von Ride und The Jesus & Mary Chain von der ersten Sekunde an zu überflügeln. Der Moment, wenn man nach drei Minuten träumerisch-instrumentaler Aufbauarbeit mit den ersten gehauchten Vocals in „Slowmo“ erlöst wird, ist gleichzeitig auch der Moment, in dem die Frage aufkommt, wie man eigentlich knapp 20 Jahre ohne neue Musik von Slowdive überstehen konnte und man anschließend beginnt sich selbst nicht mehr zu verstehen. Eine absolute Lieblingsband. Durch und durch.
(Anspieltipps: „Slomo“, „Sugar For The Pill“)
Godspeed You! Black Emperor - Luciferian Towers
Sicherlich, die eigenen Grenzen stecken die Damen und Herren des wunderbaren Musikerkollektivs aus Kanada hier nicht mehr neu ab und auch vergangene Jahrhundert-Großtaten wie
Lift Your Skinny Fists… oder
F#A#~ taugen nicht mehr so wirklich als Referenzpunkte, um den aktuellen Output von Godspeed You! Black Emperor zu bewerten. Aber auch unter diesem Umständen wird hier alles, was sich heutzutage Post-Rock schimpft, von Sekunde eins an auf die Ränge verwiesen. Solange diese wunderbare Band weiterhin im Zweijahrestakt mindestens einen Song wie „Bosses Hang“ oder vor allem „Anthem For No State“ veröffentlicht, führt an ihr schlichtweg kein Weg vorbei. Zum Glück.
(Anspieltipp: „Anthem For No State“)
Alvvays - Antisocialities
Wer hat gesagt das Genre Jangle-Pop hätte seit Teenage Fanclub keine relevante Band mehr hervorgebracht? Ich präsentiere: Alvvays aus Toronto, Kanada. Endlich mal wieder eine junge Band, die neben einem entsprechenden Sound, auch die notwendige Expertise in Sachen verdammt gutes Songwriting mitbringt. Anbei gibt es Lyrics, die zwar ziemlich direkt sind, aber trotzdem nie ins Platte abdriften und eine Gesangsstimme wie Honig, mit der Vermutlich auch der Vortrag eines Telefonbuchs zu einem Akt des Dahinschmelzens verkommen würde. Eine der wirklich guten Bands der Gegenwart.
(Anspieltipps: „In Undertow“, „Dreams Tonite“)
Spoon - Hot Thoughts
Es ist schon beachtlich, wie Spoon es schaffen - ganz ohne dabei auch nur im entferntesten gestresst zu wirken - ein großartiges Album nach den anderen rauszuhauen. Auch auf
Hot Thoughts reihen sich wieder einmal Hit an Hit und kreative Großtat an kreative Großtat. Im Vergleich zu den Vorhängern wurden hier erstmals alle Akustikgitarren im Schrank stehen lassen, stattdessen kommen vermehrt elektronische Elemente zu Einsatz. Weit davon entfernt sich komplett neu zu erfinden, erweitern Spoon ihr Soundspektrum auf diese Weise noch einmal um ein paar kreative Schritte. Einzig den Schlussakkord, das experimentelle „Us“ hätte man vielleicht lieber bei den Akustikgitarren im Schrank verstauben lassen. Ansonsten ist aber alles beim Alten - und somit auch verdammt gut.
(Anspieltipps: „Do I Have To Talk You Into It?“, „I Ain’t The One“)
Do Make Say Think - Stubborn Persistent Illusions
Nach rund acht Jahren des Warten, endlich wieder neuer Do Make Say Think-Output. Mit inzwischen zu Genreklassikern avancierten Großtaten wie
& Yet & Yet und
Winter Hymn Country Hymn Secret Hymn haben sie sich über die Jahre hinweg einen absoluten Ehrenplatz auf der Tribüne meiner liebsten Post-Rock-Bands erspielt. Und nachdem Tortoise leider mit dem letzten Album massiv an Qualität eingebüßt haben, halten sie wohl auch als letzte größere Band die Fahne des Jazz im Post-Rock-Genre hoch. Auch auf
Stubborn Persistent Illusions gelingt ihnen dieses Kunststück zum wiederholten Male ganz famos. Wunderbar vertrackte Kunststücke wie „Horripilation“ und „Bound and Boundless“ wecken höchste Sehnsüchte danach, dass die Herren doch bitte, bitte mal wieder einen Fuß über den Atlantik gen Europa setzen.
(Anspieltipps: „Bound and Boundless“)
Max Richter - Three Worlds: Music From The Woolf Works
Aus Sicht der modernen Klassik war das Musikjahr 2017 leider eher mau. Gott sei Dank, gibt aber auch in diesen Jahren noch Max Richter.
Three Worlds: Music From The Woolf Works widmet sich der wunderbaren Autorin Virginia Woolf und versucht die ihren Werken inhärenten Motive der Erinnerung und der Zeit musikalisch zu verarbeiten. Das Ergebnis ist das mit Abstand beste Genre-Werk des Kalenderjahres. Zwischen reduzierten, teilweise schon Ambientartigen Klavier-Kompositionen und orchestralen Bandbreiten schwebend, gelingt Max Richter hier das Kunststück Literatur hörbar zu machen. Als nächstes bitte eine Lesung mit Live-Ensemble!
(Anspieltipps: „In The Garden“, „Meeting Again“)
The Feelies - In Between
Ein neues Feelies-Album fühlt sich immer ein wenig nach zu Hause an: Neues entdeckt man hier zwar nicht mehr so wirklich, aber dennoch fühlt man sich wohlig und nicht zuletzt einfach nur gut. Auch
In Between ist nicht gerade die musikalische Quadratur des Kreises, sondern einfach nur ein (sehr) gutes Jangle Pop-Album. Aber ist es nicht genau das, was es ab und an braucht? Bill Million ist und bleibt einer der genialsten Rhythmus-Gitarristen der Jetztzeit, Glen Mercer spielt wunderbar verspulte Soli und haucht stoisch aber gefühlvoll seine Vocals ins Mikrofon - alles ist gut. Ein letztes Augenzwinkern erfolgt zum Schluss, wenn die Feelies statt dem üblichen Cover zum Plattenabschluss einfach anfangen sich selbst zu covern. Humor hat diese Band also auch noch.
(Anspieltipps: „Gone Gone Gone“, „Flag Days“)
Run The Jewels - Run The Jewels 3
Was soll man noch groß sagen zu den zwei Herren, die seit geraumer Zeit die Welt des Hip Hop aufmischen. Die punkigsten Songs, die je ohne Gitarren geschrieben wurden, wunderbarer Humor vermischt mit beißender Sozialkritik und zwei absolute Ikonen der Gegenwart ihres Fachs. All das findet man auch auf dem dritten Langspieler von Run The Jewels. Mit den Songs „Down“ und „2100“ ist auf
RTJ 3 aber auch die eher ruhige Seite des Duos präsenter als zuvor - und auch die steht ihnen ausgesprochen gut.
(Anspieltipps: „2100“, „Call Ticketron“)
Afghan Whigs - In Spades
„Ja“ zu BadBadNotGood zu sagen und „Nein“ zu den Afghan Whigs dürfte wohl die schwerste musikalische Entscheidung meines diesjährigen Primavera Sound-Besuchs gewesen sein. Neben dem genialen Frühwerk der Band um Mastermind Greg Dulli, liegt der Grund hierfür auch in genau diesem fantastischen Album. Zwar beinhaltet auch
In Spades nicht wahnsinnig viel mehr als Afghan Whigs being Afghan Whigs, aber warum auch? Halbballaden wie „Oriole“, Vollballaden wie „I Got Lost“ oder die alles wegfegende Gitarrennummer „Arabian Heights“ erfüllen jede Erwartung an diese Band, die es eigentlich nicht mehr nötig hätte auch nur irgendjemandem irgendetwas zu beweisen. Als Tüpfelchen auch dem i wird hier zum Abschluss auch endlich der langersehnte Wunsch einer Studioversion des live schon lang bekannten Highlights „Into The Floor“ erfüllt.
(Anspieltipps: „Into The Floor“, „Oriole“)
Gizzly Bear - Painted Ruins
Schaffen es Grizzly Bear mit
Painted Ruins an die beiden kreativen Momumentaltaten
Veckatimest und
Shields anzuknüpfen? Die Antwort ist leider: Nein. Und sind Grizzly Bear dennoch nach wie vor eine der kreativsten, interessantesten und auch wichtigsten echten Indie-Bands der Gegenwart? Songs wie „Mourning Sound“ oder „Four Cypresses“ schreien: Ja! Jaaaa, verdammt nochmal!
(Anspieltipps: „Mourning Sound“, „Four Cypresses“)
Ohne Wertung
Mount Eerie - A Crow Looked At Me
ch weiß, viele werden anderer Meinung sein, aber ich kann dieses Album nicht als solches bewerten, einordnen, kategorisieren. Alle Herangehensweisen, die normalerweise herangezogen werden, um über ein Album nachzudenken, stellen sich hier als Sackgassen heraus. Das ist keine Musik mehr, das ist nur noch Trauerverarbeitung. Einer der absoluten Meilensteine des Jahres 2017, den sich jeder zumindest einmal zu Gemüte führen sollte. Aber von der Natur der Sache her nichts für Jahresbestenlisten und ellenlange Rezensionen - zumindest nicht für mich.
(Anspieltipps: -)
B-Sides, Live Alben & Soundtracks
Angel Olsen - Phases
Dass Songs wie „Special“, „Fly On Your Wall“ oder „All Right Now“ quasi in der Ausschussware landen, zementiert nur den Status von Angel Olsen als eine relevantesten und besten Songwriterin der Gegenwart. Nicht alles was hier landet zählt zum besten Output ihrer Kariere, insgesamt ist
Phases mehr als gelungene Ergänzung des Angel Olsen-Backkatalogs. Alle Fans können und sollten hier beherzt zugreifen.
(Anspieltipps: „Special“, „Sweet Dreams“)
Sufjan Stevens - Carrie & Lowell [Live]
Dass mein Besuch der
Carrie & Lowell-Tour 2015 bis zum heutigen Tage das unglaublichste Konzerterlebnis meines Lebens darstellen würde, hatte sich schon recht zeitnah angekündigt. Dank diesem nahezu perfekten Live-Dokument kann ich diesen Abend - einen der schönsten überhaupt - nun wieder und wieder durchleben. Aber auch all jenen, die nicht mit persönlichen Erinnerungen aufwarten können, sei dieses Album ans Herz gelegt. Allein schon weil die Live-Versionen im Vergleich zum Studio-Album so komplett unterschiedlich, aber dabei genau schön daherkommen.
(Anspieltipp: Einfach komplett anschauen/-hören)
Sophia - As We Make Our Way (The Live Recordings)
25 Songs quer durch den kompletten Schaffenskatalog von Sophia, aufgenommen (in großartiger Qualität) im Rahmen ihrer wunderbaren
Unknown Harbours-Tour 2016. Nicht mehr und nicht weniger bekommt man hier geliefert. Allen, die zur dunklen Jahreszeit gerne einmal in Melancholie und Schwermut baden gehen, sei dieses Live-Zeugnis einer der Slowcore-Größen schlechthin empfohlen.
(Anspieltipps: „I Left You“, „So Slow“, „Last Night I Had A Dream“)